BREGENZ. Süß sind sie, die kleinen Wesen, die da im Kunsthaus Bregenz von der Decke hängen. Einige muten etwas traurig an, eins reibt sich die Tränen aus den Augenwinkeln. Aber sieht man genauer hin, erkennt man, dass die von Precious Okoyomon mit liebevoller Zärtlichkeit im Raum platzierten Tierchen allesamt - an Galgenstricken baumeln.
Luftig und fragil besetzen die Plüschtiere (denn um die handelt es sich überwiegend) den Luftraum des ausladenden ersten Obergeschosses. Ausstaffiert mit Flügeln aus echten Vogelfedern, mutiert die bunte Flug- zu einer surrealen Heerschar aufgeknüpfter Engelchen. Ein bewegender, frappierender Anblick.
Auftritt bei der Biennale
Die 32-jährige diverse Künstler*in aus New York mit afrikanischen Wurzeln will sich nicht für ein Geschlecht entscheiden. 1993 in London geboren und in Ohio aufgewachsen, war sie (wählen wir der femininen Erscheinung der New Yorker*in halber doch das weibliche Pronomen) die jüngste Künstler*in, die je im Kunsthaus Bregenz zwar nicht ausgestellt hat, aber doch ausstellen sollte. Nur infolge von Corona kam es nicht dazu. In jungen Jahren war sie bereits in renommierten Häusern wie dem Aspen Art Museum oder dem Museum für Moderne Kunst in Frankfurt zu sehen. 2024 bespielte sie den nigerianischen Pavillon bei der 60. Biennale von Venedig.
Für Bregenz hat Precious Okoyomon jetzt eine Art poetisches Gesamtkunstwerk aus Rauminstallation, Skulptur und architektonischen Elementen, aus Videokunst, Zeichnung und Musik geschaffen. Kindheit als für jeden Menschen prägende Lebensphase ist ein wesentliches Thema. Die KUB Billboards - großformatige Schaukästen an der meistbefahrenen Straße in Bregenz als Außenposten des Kunsthauses - präsentieren für die Dauer der Ausstellung neben Farbaufnahmen auch Reproduktionen von ausdrucksstarken grafischen Werken der Künstlerin. Die lassen an Art Brut denken, aber auch an Kinderzeichnungen. Die Motive führen in die Vorstellungswelt einer von Lebewesen bevölkerten und in sich selbst belebten Natur. Da spielt etwa die Sonne in ein Gesicht hinüber.
Von Kuscheltieren besessen
»Kuscheltiere«, äußerte Precious Okoyomon in einem Interview, »haben mich vor der Realität meiner Kindheit beschützt … Es sind Objekte, die kollektive und persönliche Erinnerungen speichern.« Neben den Zeichnungen und der Plüschtier-Installation führt auch das Erdgeschoss in die Kindheit – diesem Anknüpfungspunkt der Psychoanalyse. Beschriftungen neben den Eingangstüren weisen zwei Bürokabinen als »Existential Detective Office 1 und 2« aus. Neben Sessel und antiker Chaiselongue findet sich in dem einen Raum ein Bücherregal mit Titeln wie dem »Roten Buch« C. G. Jungs.
Im anderen gesellt sich zu einem Schreibtisch eine Couch - das klassische Möbel der Psychoanalyse. Die identischen Tapetenmuster beider Räume wiederum setzen sich aus kindlicher Imagination entsprungenen Fantasiewesen zusammen. Das Setting als Ganzes verweist auf C. G. Jungs psychoanalytische Praxis. Menschen in Laborkitteln suchen mit den Besuchern in einen Dialog über ihre Gefühlswelt und ihre Erinnerungen zu treten. Mit ihren Antworten tragen die Befragten selbst zum Kunstwerk bei.
Fantasien der Entgrenzung
Auch die Treppenhäuser des Kunsthauses sind in die Schau mit einbezogen. Das abgedunkelte Emporsteigen dank zusätzlich eingezogener Decke erzeugt ein Gefühl der Beengung. Der Aufstieg zu den Obergeschossen wird so zum Tauchgang ins eigene Innere, zu einer Exkursion in entlegene, verborgene Regionen von Kindheit und Erinnerung. Im ersten Obergeschoss konfrontieren uns dann die »Galgenvögel« der engelsgleich in der Luft flatternden Plüschtiere mit Gefühlen von Schmerz und Trauer. Im Stockwerk darüber wartet ein übergroßer Teddybär. Am Rand eines rosa Plüschteppichs auf dem Rücken liegend, beamt er uns in der Aufhebung realistischer räumlicher Relationen zu den träumerisch-sphärischen Klängen der Soundkünstlerin Takiaya Reed unmittelbar in die Welt der Kindheit zurück.
Ausstellungsinfo
Die Ausstellung »Precious Okoyomon. One Either Loves Oneself Or Knows Oneself« ist bis zum 25. Mai 2025 im Kunsthaus Bregenz, Karl-Tizian-Platz, zu sehen. Geöffnet ist Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr, Donnerstag bis 20 Uhr. (GEA)
Das oberste Geschoss führt den Besucher dann in einen durch ein Netz abgegrenzten Bereich. Dort ließ Precious Okoyomon ein feuchtwarmes Biotop mit einer bunten Vielfalt von Pflanzen und Schmetterlingen anlegen. Außerhalb des Terrains läuft dazu in Sichtweite ein Film. Er zeigt Precious Okoyomon am Steuer eines Flugzeugs, bei einem Flug über ihren Heimatstaat Ohio. Laut rezitiert sie, die sich auch als Lyrikerin einen Namen gemacht hat, eigene Verse. In diesen Bildern und Fantasien von Schwerelosigkeit und Entgrenzung scheint etwas Wichtiges konkret auf: die Idee wahren, wahrhaftigen Lebens. (GEA)