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Tastenkunst zum Staunen: Bernd Glemser beim Reutlinger Kammermusikzyklus

Von zartem Feinschliff bis zu donnernden Tastengewittern war alles drin beim Auftritt von Pianist Bernd Glemser im Reutlinger Kammermusikzyklus. Sogar eine musikalische Gondelfahrt.

Von Poesie bis Tastendonner: Bernd Glemser beim Reutlinger Kammermusikzyklus.
Von Poesie bis Tastendonner: Bernd Glemser beim Reutlinger Kammermusikzyklus. Foto: Armin Knauer
Von Poesie bis Tastendonner: Bernd Glemser beim Reutlinger Kammermusikzyklus.
Foto: Armin Knauer

REUTLINGEN. Dem Pianisten Bernd Glemser eilt ein legendärer Ruf voraus - bei seinem Auftritt im Reutlinger Kammermusikzyklus wurde schnell klar, warum. Der Feinschliff, mit dem er Franz Schuberts in dessen Todesjahr 1828 entstandene Sonate A-Dur op. posth. D 959 aus den Tasten präparierte, sorgte für atemloses Staunen im nicht ganz voll besetzten kleinen Saal der Stadthalle.

Wie entrückte Preziosen wirken da manche Diskantmotive. Von fast unwirklich schimmerndem Feinschliff, am Phrasenende wie ein Mysterium verhauchend. Glemser rückt diese Stellen nicht umsonst nahe an das luzide Perlen bei Haydn heran. Es ist, als träume sich Schubert in seine Jugend zurück, zu seinem Idol Haydn, seinem Lehrer Salieri.

Zwielicht und Hexensabbat

Aber so bleibt es nicht. Träume zerreißen bei Schubert, und Glemser zeichnet diese Brüche in aller Härte. Der zweite Satz führt in eine lastende Trauerlandschaft im Zwielicht. Aus der Glemser den aufpeitschenden Mittelteil als wahren Hexensabbat aufsteigen lässt. Stahlharte Kanten, grelle Akkordblitze - Glemser macht daraus ein regelrecht expressionistisches Toninferno. Aus dem man wie aus einem Alptraum erwacht - um sich im Scherzo in luftig-verspielten Tongirlanden wiederzufinden.

Es ist Glemsers Kunst, diese Brüche aufs Schärfste herauszuarbeiten. Und gleichzeitig klarzumachen, dass beides zusammengehört, die heiteren Träumereien und die Abgründe. Dass beides zusammen erst eine Welt gibt. So steckt auch im Finale die Magie seines Spiels nicht nur in furiosen Tastentänzen. Sondern auch in der Art, wie er den erschütternden Momenten nachforscht, in denen die Musik und die Welt und alles ans Ende zu kommen scheint. Wo Motive ansetzen und gleich wieder abbrechen, wo alles in Frage gestellt ist, jede Gewissheit trügerisch.

Wellengang und Gondellied

Es sind solche Gegensätze, die er auch im zweiten Teil mit Musik von Sergei Rachmaninow zu einer Einheit schweißt, ohne die Brüche abzuschwächen. Im Gegenteil, auch hier geht er bewusst ins Extrem. Hauchfeine Träumereien hier, naturgewaltige Ausbrüche dort - und doch ist bei ihm das eine auf das andere auf geheimnisvolle Weise bezogen.

In der »Elegie« op. 3,1 aus den »Morceaux de Fantaisie« spielt Glemser seine Kunst aus, Melodien in ganz zarter Innerlichkeit auszusingen. Zerbrechliches Ruhen einer empfindsamen Seele. Ein Frieden, der im Mittelteil von hohem Seegang aufgewirbelt wird. In der »Barkarole« op. 10,3 aus den »Morceaux de Salon«, einem Gondellied, lässt Glemser auf impressionistisch-tonmalerische Weise spüren, wie der Wind durch die Lagune streicht und das Wasser in den Kanälen kräuselt.

Aufgewühltes Klangdrama

Aufgewühltes Klangdrama bis zum letzten Ton ist die Klaviersonate Nr. 2 b-Moll op. 36. Seelenvolle Träumereien geraten hier in ein Ausmaß an virtuoser Tastenbrandung, dass einem der Atem stockt. Das Verblüffende bei Glemser ist, dass er diese prasselnden Akkord-Kaskaden in aller Urgewalt inszeniert - dass in diesem Toben der Elemente bei ihm aber immer ein Kern des Wohlüberlegten steckt. Die Klangwelt ist in Aufruhr, der Pianist jedoch bleibt stets der Hexenmeister kühlen Kopfs im Orchestrieren dieser Parforceritte.

Das Publikum hat Glemser damit so in den Bann geschlagen, dass es ihn erst nach zwei Zugaben gehen ließ. Die erste wunderbar zartschwebend und mutmaßlich von Rachmaninow. Die zweite lustig schwirrend - Mendelssohns »Spinnerlied« aus den »Liedern ohne Worten«. Angesagt hat der Meister keines von beiden, er verabschiedete sich wortlos. Doch nicht ohne ein Lächeln. (GEA)