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Taschen voller Fragen: Die Reutlinger Tonne feiert 25 Jahre Tanztheater

Das Reutlinger Theater »Die Tonne« feiert sein Silberjubiläum des Internationalen Tanztheaters mit zwei sehr unterschiedlichen Aufführungen. Beide bieten Unterhaltung, regen aber auch zur Reflexion über gesellschaftliche Themen an.

Szene aus dem Stück »Goodbye Stracciatella« der Compagnie BewegGrund beim »Internationalen Tanztheater XXV« der Reutlinger Tonne
Szene aus dem Stück »Goodbye Stracciatella« der Compagnie BewegGrund beim »Internationalen Tanztheater XXV« der Reutlinger Tonne. Foto: Anne Steudler
Szene aus dem Stück »Goodbye Stracciatella« der Compagnie BewegGrund beim »Internationalen Tanztheater XXV« der Reutlinger Tonne.
Foto: Anne Steudler

REUTLINGEN. Was brauchen wir wirklich, was ist verzichtbar? Darum ging es beim »Internationalen Tanztheater« der Tonne, das am Wochenende seine 25. Ausgabe feierte. Gefeiert wurde das mit zwei sehr unterschiedlichen Tanztheater-Aufführungen.

Vor Beginn des ersten Stücks stellte Tonne-Dramaturgin Alice Feucht dem Publikum die Frage: Was ist etwas, auf das man nicht verzichten kann? Die Antworten waren vielfältig und reichten von Gesundheit, Wertschätzung und Respekt bis hin zu Hustenbonbons. Anschließend erklärte Feucht, die Zuschauer sollten die Schilder, welche die beiden Darsteller gleich hochhalten würden, laut vorlesen. »Goodbye Stracciatella« basiert lose auf dem Buch »Verbot und Verzicht« des Ökonomen Philipp Lepenies. In diesem inklusiven Theaterstück treten zwei Darsteller auf, einer davon mit Behinderung, was das Konzept der Compagnie BewegGrund aus der Schweizer Hauptstadt Bern ist.

Dialog mit Pappschildern

Langsam betreten zwei umfangreich gekleidete Personen mit Papiertüten auf dem Kopf die Bühne. Jeder Darsteller trägt eine Plastiktüte gefüllt mit Pappschildern in der Hand. Als sie sich gegenüberstehen, zieht einer das erste Schild hervor: »Hallo, bist du Lukas?« Der andere antwortet mit »Ja«. Es folgt das nächste Schild: »Brauchst du das?« – »Nein!« Daraufhin nehmen die Darsteller, Lukas Schwander und Emeric Rabot, ihre Papiermasken ab. Nach und nach legen sie auch ihre dicken Jacken und andere Kleider ab, bis sie schließlich nur noch in Unterwäsche dastehen.

Zwischendurch setzen sie sich und trinken Cola. Wieder wird gefragt: »Brauchst du das?« Die Antwort lautet: »Ich brauche einen Dackel.« Eine Diskussion mit den Worten »Nein« und »Doch!« entspinnt sich. Energisch halten die Darsteller dem Publikum die Schilder entgegen. Das Publikum erkennt schnell eine vertraute Situation: Jemand äußert einen Wunsch, während ein anderer ihn abtut.

Lukas Schwander und Emeric Rabot treffen mit Taschen voller Fragen aufeinander.
Lukas Schwander und Emeric Rabot treffen mit Taschen voller Fragen aufeinander. Foto: Verena Völker
Lukas Schwander und Emeric Rabot treffen mit Taschen voller Fragen aufeinander.
Foto: Verena Völker

Nachdem materielle Dinge abgehandelt sind, hält Rabot ein Schild hoch: »Brauchst du mich?« Die Antwort darauf ist erneut ein klares »Nein«, was im Publikum für einen scharfen Atemzug sorgt. Schwander zeigt ein Schild mit der Aufschrift: »Ich brauche Cola und Helene Fischer«, woraufhin Schwander ihn von der Bühne kickt und selbst fröhlich zu Schlagermusik tanzt. Schließlich kehrt Rabot zurück und hält das Schild hoch: »Ich brauche dich.« Die beiden umarmen sich – so endet »Goodbye Stracciatella«.

Solange man Freunde hat, ist alles andere auf der Welt egal. Dies als Botschaft aus dem Werk der Schweizerin Tabea Martin als finale Botschaft mitzunehmen, wäre zu kurz gegriffen. Vielmehr ist es Stück, das anregt, über die Frage nachzudenken, was wir brauchen, worauf wir verzichten können – und wie wir damit umgehen, wenn die Meinungen unserer Mitmenschen davon abweichen.

Poetische Bilder

Nach einer Pause folgte das zweite Stück: »Together« mit der Company Idem aus Yverdon-les-Bains, ebenfalls in der Schweiz. 13 junge Tänzer präsentierten ein Werk voller poetischer Bilder. Bemerkenswert war das Konzept, Tanzprofis und Amateure zusammenzubringen: Sieben Profi- und fünf Laien-Tänzer traten gemeinsam auf. Das Publikum wurde dabei in eine nebulöse Welt entführt. Zunächst bewegten sich alle Tänzer um einen Lichtkegel herum; schließlich traten zwei Tänzer in den Lichtkegel und schienen miteinander zu ringen, jedoch nicht aggressiv, vielmehr symbolisierten sie eine starke Verbundenheit.

Die Szenen wechselten ständig und zeigten beeindruckende Bilder: Mal standen sich aggressive Fußballfans drohend gegenüber, dann wanderte eine friedliche Gruppe von Menschen zusammen. Eine menschliche Treppe ermöglichte es einer Tänzerin, elegant nach oben zu gelangen und von der höchsten Stufe getragen zu werden.

»Internationales Tanztheater XXV« am Theater Die Tonne: Die Company Idem aus Yverdon-les-Bains steuert das Stück »Together« bei.
»Internationales Tanztheater XXV« am Theater Die Tonne: Die Company Idem aus Yverdon-les-Bains steuert das Stück »Together« bei. Foto: Gregory Batardon
»Internationales Tanztheater XXV« am Theater Die Tonne: Die Company Idem aus Yverdon-les-Bains steuert das Stück »Together« bei.
Foto: Gregory Batardon

Das Stück erforscht Gruppendynamiken und zeigt auf eindringliche Weise, wie Menschen sich alleine oder in Gruppen verhalten können. Es wird deutlich, dass menschliches Zusammenleben ohne Konflikte nicht möglich ist. Wenn eine Gruppe jemanden zu Boden schlägt und zuvor friedliche Individuen plötzlich mitmachen, hinterlässt dies einen bitteren Beigeschmack. Im Gegensatz dazu vermittelt es ein positives Gefühl, wenn ein einzelner Tänzer es schafft, das Publikum zum Klatschen zu bringen.

Der Auftritt war sowohl bezaubernd als auch zum Nachdenken anregend. Anmutige Ballettbewegungen wechselten sich ab mit kraftvollen Bildern, die an totalitäre Staaten denken ließen. Schließlich durfte sich die Company über Standing Ovations im ausverkauften Saal freuen. (GEA)