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Tanzender Stahl

REUTLINGEN. Die Linie. Der Stahl. Die Kraft. Ein Dreiklang wie eine mächtige Glocke, die schwingt und Zeit und Raum durchtönt. Die Linie steht für Robert Schad am Anfang. Sie ist der Ursprung. Das Urzeichen, aus dem sich alles entwickelt. Der Stahl: Das ist massiver Vierkantstahl mit 45 Millimeter Kantenlänge. Aus ihm formt der Bildhauer, der auch ein Stahlarbeiter ist, seine Skulpturen. Oft tonnenschwere Werke von verblüffender Leichtigkeit, die in einer fast heiteren Choreografie zu tanzen und zu schweben scheinen. Gleichgewicht, Balancen, federnde Eleganz, eine gestandene Anmut: Mit solchen Attributen dürfen sich diese Skulpturen schmücken. Sie haben in dem weiten und hohen Raum des Kunstvereins in aller Großzügigkeit und Freiheit einen auch statisch sicheren Platz gefunden, der den vielen Volumina, die sie in sich und um sich bilden, Entfaltung bietet und ihrer Spannung zwischen Grazie und Monumentalität, zwischen Statik und Dynamik die angemessene Bühne verschafft.

Die Kraft kommt zum einen aus dem Material selbst, aus seiner kantig klaren, quadratischen Linearität, seiner Tragfähigkeit und Dauer und zum andern aus seiner Formung zu großen und gebündelten Energieströmen. Die stählerne Raumlinie verstärkt sich selbst. Indem Robert Schad den Vierkant nach kurzer Strecke bricht und verdreht und ihm eine leichte Richtungsänderung aufträgt und ihn so kontinuierlich in Bewegung versetzt, was mit bewundernswerter handwerklicher Meisterschaft geschieht und zudem eine Regie der Variation konstituiert, deren Möglichkeiten unerschöpflich zu sein scheinen.

Die Kraft linearer Räumlichkeit gründet sich außerdem auf die Geschlossenheit der Verläufe. Jede Linie ist gleichsam unendlich in sich selbst. Kehrt immer wieder in sich selbst zurück. Da dies mehrschichtig, häufig im Zusammenspiel von vier Liniensträngen geschieht, ist die Wirkung solch linearer Polyphonie geradezu orchestral. Sich steigernd zu geordneter und freier Fülle. Robert Schad hat viel für die moderne Musik übrig. Er übernimmt deren wechselnde Rhythmen, das Spiel mit Tonhöhen und Tondauern, die seriellen Elemente und die schroffen Kehren und bleibt dabei der Kontrapunktiker, der jeder Stimme Eigenständigkeit gibt und sie in ihrer Summe und ihren Kreuzungen zu einem Ganzen, zu einem Kosmos führt.

Auf drei Fußspitzen

Manche der über drei Meter hohen Skulpturen wirken pflanzenhaft. Organisch gewachsen. Oder sie gleichen der menschlichen Gestalt. Erreichen im Einfachen den starken Ausdruck. Andere entwickeln eine Art Gruppendynamik. Wieder andere bleiben am Boden. Bilden einen Kreis und tanzen den stählernen Reigen. Oder formieren sich mit spitzen Dreiecksformen zu einer futuristischen Stadt. Wie überhaupt einige Skulpturen durchaus architektonisches Potenzial haben. Zum Beispiel »Farull« (Nummer 12), einem riesigen Baldachin gleich und in der geschwungenen Schwerelosigkeit ebenso kühn wie anmutig. Oder »Ketmes« (Nummer 4), begehbar, hoch gebaut, mit Toren und faszinierenden Durchblicken. Eine Tonne schwer und so grazil, dass dieses Werk auf drei Fußspitzen zu stehen vermag. Zu schweben, denn hier hat sich Schwerkraft in wundersame Erhabenheit verwandelt.

Manchmal wünscht man sich beim Umrunden der Skulpturen, sie stünden auf einer Drehscheibe, um das Wechselspiel ihrer Durchsichtigkeiten und ihrer wandelbaren Volumina, die sie in den Raum schreiben, zur Gänze aufnehmen zu können. Aber auch so, wenn der Betrachter selbst seine Kreise geht, erschließen sich Schönheit und Kraft dieser Schöpfungen. Die Raumspannung einer sich ständig neu organisierenden Linearität, die Verdichtung und Steigerung des Materials durch die Form und die Ästhetisierung des Monumentalen vermögen dann zu sprechen. Eine klare, reiche, Sinne und Geist belebende Sprache. Auch bei seinen in den Raum drängenden Zeichnungen bleibt Robert Schad dem Lieblingsmaterial treu: Schwarzer Lack auf weißem Stahlblech. Papier ist nichts für den athletisch gebauten Mann, der das Wuchtige zu zähmen und zu bilden weiß. (GEA)