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Aktuell Kulturpolitik

Tübinger Zimmertheater sieht sich von Schließung bedroht

Das Tübinger Zimmertheater hat einen Hilferuf abgesetzt: Die geplanten Mittelkürzungen träfen es überproportional hart und brächten die seit 1958 bestehende Bühne in Gefahr.

»ITZ in Danger! Von Schließung bedroht!«, steht weiß auf rot im Schaukasten des Tübinger Zimmertheaters in der Bursagasse.
»ITZ in Danger! Von Schließung bedroht!«, steht weiß auf rot im Schaukasten des Tübinger Zimmertheaters in der Bursagasse. Foto: Paul Runge
»ITZ in Danger! Von Schließung bedroht!«, steht weiß auf rot im Schaukasten des Tübinger Zimmertheaters in der Bursagasse.
Foto: Paul Runge

TÜBINGEN. Geht es dem Tübinger Zimmertheater jetzt an den Kragen? Zwar dementiert die Tübinger Stadtverwaltung Pläne zur Schließung des 1958 gegründeten Hauses, das seit 2019 Mitglied im Deutschen Bühnenverein und eines der kleinsten Stadttheater der Republik ist. Doch sind die geplanten Mittelkürzungen für die Bühne so gravierend, dass das Team dort die Zukunft des Theaters für massiv gefährdet hält. Ist die Berliner Sparwelle im Kulturbereich drastischer gar als in der Bundeshauptstadt nun auch bei uns in der Region angekommen? Wir haben nachgefragt, wie es den Theatern in Tübingen, Reutlingen und Melchingen geht und wo die Herausforderungen für die Häuser liegen.

»ITZ in Danger! Von Schließung bedroht!«, meldet das Zimmertheater-Team. ITZ steht dabei für »Institut für theatrale Zukunftsforschung im Zimmertheater«. Den Namen trägt das auf Neue Dramatik spezialisierte Haus in der Bursagasse und in der Spielstätte Löwen seit Beginn der Intendanz Ripberger (ab 2018). »Wir sind erschüttert«, lässt das ITZ sein Publikum wissen und nennt als Grund, dass die Stadt Tübingen den städtischen Zuschuss für das Zimmertheater im Jahr 2026 um über 25 Prozent zu kürzen plant.

Existenz bedroht?

Das sei nicht bloß Zumutung, sondern »die Bedrohung unserer Existenz«. Mit einem Viertel weniger Budget, so argumentieren Intendant Peer Mia Ripberger, der kaufmännische Leiter Roman Pertl und ihr Team, »wäre es uns nicht mehr möglich, Theater zu machen. Die geplante Einsparung übersteigt unser gesamtes Kunstbudget um ein Vielfaches.« Sie betonen, dass das Theater mehr als ein Spielort sei. Es sei ein Raum, in dem Menschen miteinander ins Gespräch kommen – über Generationen und Milieus hinweg. »Gerade in Zeiten, in denen demokratische Werte bröckeln, ist es essenziell, Orte der kulturellen Begegnung zu bewahren.« Sie rechnen vor, dass die Ausgaben für das Zimmertheater (1,089 Millionen Euro) 0,3 Prozent der Gesamtausgaben der Stadt Tübingen ausmachen und dass geplant sei, das Theater überproportional an den Einsparungen im Stadthaushalt zu beteiligen. Sie fordern den Erhalt des Zimmertheaters und rufen ihr Publikum auf, dies ebenfalls zu tun, indem sie sich an die Mitglieder des Tübinger Gemeinderats wenden.

Im Tübinger Rathaus verweist man auf die angespannte Haushaltslage der Stadt und dass man die Aufwüchse der letzten Jahre unter die Lupe genommen habe, um zu den Kürzungsvorschlägen zu kommen. Beim Zimmertheater sei der städtische Zuschuss seit 2019 beinahe um das Doppelte gestiegen. Bei veränderter Finanzlage sei das nicht mehr zu stemmen, so Gundula Schäfer-Vogel, Bürgermeisterin für Soziales, Ordnung und Kultur.

Die Lage in Melchingen

Im Theater Lindenhof in Melchingen ist man derzeit dankbar, dass die Förderung durch das Land stabil ist, wie Intendant Stefan Hallmayer erklärt. Doch ist der ökonomische Druck in den 23 Partnerkommunen des Theaters, in denen es regelmäßig auftritt, groß. Was bei sieben von ihnen zu Überlegungen geführt hat, die Kooperation mit dem Lindenhof zu beenden. In aufwendigen Gesprächen, so Hallmayer, sei erreicht worden, dass nun doch die meisten dabei bleiben. Es hätte sonst ein Loch von 100.000 Euro gedroht.

Mittel erhält das Theater Lindenhof von der Sitzgemeinde Burladingen, den Landkreisen Zollernalb, Tübingen und Reutlingen, den Partnergemeinden und dem Land. Für jeden Euro an kommunalen Mitteln gibt es zwei Euro vom Land. In einzelnen Partnergemeinden habe sich der Zuschuss für 2025 reduziert, in anderen erhöht, sodass insgesamt »der Rückgang der kommunalen Mittel nicht so dramatisch ist, wie wir noch Mitte des Jahres geglaubt haben«. Und doch führt das laut Intendant Hallmayer dazu, dass man 15.000 bis 20.000 Euro zu wenig kommunale Mittel habe, um die komplett eingestellte Landesförderung (etwa 930.000 Euro) abrufen zu können. Man werde in der Folge nicht weniger Vorstellungen geben, sondern »eher versuchen, auf dem Tournee-Markt mehr zu holen«. Das führe aber dazu, dass man das Angebot in Melchingen ein bisschen zurückfahre. »Da sind 200 Veranstaltungen pro Jahr bei unserer Zuschusslage auch sehr ambitioniert - und bei einer Bezuschussung durch die Sitzgemeinde von 30.000 Euro.« Über 100 Mal pro Jahr spielt das Theater auswärts.

Julian Lehr, Jel Woschni und Cyril Hilfiker (von links) im Stück »Kalter Hund oder: Dackel, die ins Gras beißen«, das am 7. Deze
Julian Lehr, Jel Woschni und Cyril Hilfiker (von links) im Stück »Kalter Hund oder: Dackel, die ins Gras beißen«, das am 7. Dezember im Tübinger Zimmertheater Premiere gefeiert hat. Foto: Alexander Gonschior
Julian Lehr, Jel Woschni und Cyril Hilfiker (von links) im Stück »Kalter Hund oder: Dackel, die ins Gras beißen«, das am 7. Dezember im Tübinger Zimmertheater Premiere gefeiert hat.
Foto: Alexander Gonschior

Bei einigen Gemeinden, so Hallmayer, habe das Argument gezogen, dass sich der Lindenhof mit großen Sonderprojekten engagiert. So gestaltet der Lindenhof 2025 mit Riedlingen ein großes Sommertheater. Ebenfalls 2025 gibt es große Projekte des Theaters in Filderstadt - aus Anlass der Gründung der Kommune vor 50 Jahren - sowie in Bietigheim, wo man das 30-Jährige als Lindenhof-Partnerkommune feiert.

Hallmayer sichert dem Tübinger Zimmertheater im Namen des Lindenhofs die »volle Solidarität« zu. Was die Kollegen dort gerade auch in Bezug auf die Bindung von jüngeren Menschen erreicht hätten, sei absolut anerkennenswert. Hallmayer findet es »fatal, dass die Kultur zu den Freiwilligkeitsleistungen gerechnet wird«. Dadurch gerate die Kulturförderung sofort in den Blick, wenn es um Einsparungen im Etat der Kommunen gehe. »Bei diesem Prinzip wird verkannt, dass die Kultur ein unverzichtbarer Baustein für eine funktionierende Demokratie ist. Man hätte daher die Einordnung der Kulturförderung als Freiwilligkeitsleistung unbedingt in besseren Zeiten korrigieren müssen. Das ist aber leider nicht geschehen.«

Reutlinger Appell an Tübinger Räte

Das bedauert auch Matthias Schmied, Verwaltungsleiter des Reutlinger Theaters Die Tonne. In Bezug auf die Tonne leitet er daraus die Frage ab: »Sind wir als Theater, für wen auch immer, eine freiwillige Leistung? Wir sehen das natürlich anders.« Schließlich habe die Stadt Reutlingen vor einem Jahrzehnt beschlossen, das Theater auf dem Listhallengelände zu bauen. »Es wäre natürlich völlig aberwitzig, wenn man jetzt sagen würde: Das Theater steht da, aber die Förderung des Theaters ist eine Freiwilligkeitsleistung. Das würde uns sehr wundern. Ich sehe dafür auch keine Anzeichen. In Tübingen aber machen sie genau diese Unterscheidung für das ITZ.« Beim Landestheater Tübingen (LTT) sähen sie sich verpflichtet, zu zahlen - weil da die Landesmittel - 70 Prozent kommen vom Land, 30 Prozent von den Kommunen - dran hingen. »Im Falle des ITZ glauben sie, dass sie dazu nicht verpflichtet sind.« Wie die Stadt Tübingen mit dem ITZ umgehe, nennt Schmied »völlig abwegig«. Das Zimmertheater sei nach Jahrzehnten der Selbstausbeutung zuletzt »endlich angemessen gefördert« worden, was auch eine Bezahlung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach Tarif ermöglicht habe. Die Kolleginnen und Kollegen vom ITZ hätten völlig recht, wenn sie bemängelten, dass sie nun überproportional zur Ader gelassen werden sollen. In einem von Schmied und Tonne-Intendant Enrico Urbanek unterzeichneten Brief an die Mitglieder des Tübinger Gemeinderats appelliert die Tonne an die Entscheidungsträger, sehr gewissenhaft abzuwägen, »ob die überproportionale Einsparung beim ITZ [...] verhältnismäßig ist«. »Womöglich irreversible Weichenstellungen« sollten vermieden werden.

Das Theater Die Tonne hat im Zuge des Reutlinger Doppelhaushalts 2024/2025 Zuschussbescheide bekommen. »Die Stadt hat sich zum Ziel gesetzt, an unsere noch vorhandenen Rücklagen ranzugehen«, sagt Schmied und berichtet, dass die Tonne bis einschließlich 2023 mit einem stagnierenden städtischen Zuschuss auskommen musste. Alles, was das Theater an tariflichen Segnungen in den Jahren 2020 bis 2023 an die Angestellten weitergegeben habe, habe es aus den Rücklagen finanziert. Erfreulicherweise gestiegen sei in dieser Zeit der Zuschuss des Landkreises Reutlingen. Die Stadt Reutlingen sehe zwar den gestiegenen Zuschussbedarf resultierend aus Tarifabschlüssen, ziehe dem Theater aber gleichzeitig 150.000 Euro ab, weil das Theater Rücklagen hat. Vom Landkreis bekommt die Tonne im kommenden Jahr 202.670 Euro, vom Land 208.000 Euro, von der Stadt Reutlingen 1.476.300 Euro (worin ein Miet- und Nebenkostenzuschuss in Höhe von 767.000 Euro enthalten ist).

LTT-Intendant: Kultur sollte nicht Freiwild sein

Auch LTT-Intendant Thorsten Weckherlin findet, dass viel gewonnen wäre, »wenn das Gerede von der Kultur als freiwillige Ausgabe, was sie zum Freiwild öffentlicher Sparzwänge machen soll, endlich einmal aufhören würde.« Das Argument vom Vorrang der Pflichtaufgaben werde durch ständige Wiederholung »weder besser noch richtiger«. Das deutsche Ensemble- und Repertoiretheater bedeutet für Weckherlin »eine außergewöhnliche künstlerische Vielfalt und ein hohes Maß an künstlerischen Experimenten. Kostet natürlich Geld. Aber die tolle Struktur ermöglicht einen hohen und damit effizienten Ressourceneinsatz sowie die Sicherung bestimmter sozialer Ansprüche für die künstlerisch Tätigen. Denn im Ensemble- und Repertoirebetrieb wird kontinuierlich über die gesamte Spielzeit gespielt.« (GEA)