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Tübinger Poetikdozentur: Autor Daniel Kehlmann über die literarischen Gattungen

Daniel Kehlmann ist als Autor historischer Romane populär. Er kennt aber auch das Schreiben für Bühne und Film. Die Tübinger Poetikdozentur nutzt er dafür, die verschiedenen Gattungen zueinander in Beziehung zu setzen.

Daniel Kehlmann im Tübinger Audimax.
Daniel Kehlmann im Tübinger Audimax. Foto: Christoph B. Ströhle
Daniel Kehlmann im Tübinger Audimax.
Foto: Christoph B. Ströhle

TÜBINGEN. Vor knapp einem Jahr hat der Schriftsteller Daniel Kehlmann im Tübinger Kino Museum seinen Roman »Lichtspiel« vorgestellt, der sich am Beispiel des österreichischen Filmregisseurs Georg Wilhelm Pabst (1885 bis 1967) mit dem Wirken eines Künstlers unter den Bedingungen einer Diktatur beschäftigt. Nun ist er wieder in der Stadt, im Rahmen der vom Unternehmen Würth in Künzelsau geförderten Tübinger Poetikdozentur. Mit der die Universität Tübingen nach eigenem Anspruch bereits zum 37. Mal »eine spezifische Form des in Deutschland oft vermissten intellektuellen Diskurses anbietet, der Literatur, Wissenschaft und Öffentlichkeit verknüpft«. Neben Kehlmann geben bis zum 14. November auch die Schriftstellerin Nora Bossong und der Regisseur, Autor und Entwickler von Fernsehsendungen David Schalko Einblick in ihr Denken und Schaffen.

Im vollbesetzten Audimax sprach Kehlmann, dessen Roman »Die Vermessung der Welt« (2005) zu einem der größten Erfolge der deutschen Nachkriegsliteratur wurde, über »Gattungen, Tonfälle, Stimmen«. Wobei der 1975 in München geborene Schriftsteller um Abgrenzung zwischen den Gattungen bemüht war. Aber auch auf Berührungspunkte zu sprechen kam. Und darauf, wie es sich bei Adaptionen, also Übersetzungen von einer in eine andere Gattung, verhält.

Zwischen Kunst und Gebrauchsanweisung

Kehlmann weiß sehr genau, wovon er spricht, hat er doch gerade seinen Roman »Lichtspiel« zu einem Drehbuch umgewandelt. In Zusammenarbeit mit David Schalko, mit dem er bereits die Fernsehserie »Kafka« realisiert hat. Unter Verwendung der Kafka-Biografien von Reiner Stach. »Film ist was Tolles. Ich liebe Filme. Deswegen mache ich ja Drehbücher - auch«, sagte Kehlmann nach seiner Vorlesung im Gespräch mit der Germanistin Dorothee Kimmich. »Aber Drehbuchschreiben ist nicht angenehm. Romanschreiben ist lustvoll, Prosaschreiben ist lustvoll.« Was fürs Drehbuchschreiben nicht gelte, da man ständig zwischen Kunst - Passagen, an denen man als Künstler gefragt sei - und Passagen wechsle, bei denen man »praktisch auf der gleichen künstlerischen Ebene erklärt, wie wenn man eine Gebrauchsanweisung für einen Bohrer oder eine Waschmaschine schreibt«. Es mache daher auch keinen Spaß, ein Drehbuch zu lesen, so der Autor. »Aber es macht Spaß, beteiligt zu sein an diesem wunderbaren großen Unternehmen, das ein Film ist.« Deswegen nehme man das in Kauf.

Ein Theaterstück, so Kehlmann in seiner Vorlesung, sei ganz Handlung, Ereignis. Es könne »monteurlos ablaufen«. Der Roman könne das ebenso wenig wie der Film. »Denn im Roman spricht ja tatsächlich eine Person zu uns. Satz für Satz. Seite für Seite. Ein Autor ist immer da und arrangiert und erzählt. Es kann sich die dramatische Unmittelbarkeit nur als Simulation, nicht aber als Wirklichkeit herstellen.« Kehlmann brachte es in seinen weiteren Ausführungen auf die Formel: »Der Film kann zeigen, der Roman denkt.« Dieses Denken könne Empathie und Nähe schaffen. Oder mit dem Mittel der Ironie für eine Distanzierung sorgen. Da der Film, wie der Roman, wesentlich von der Atmosphäre lebe, würden Romane oft zu Filmen gemacht.

Maximale Wirkkraft

Gedichte würden niemals adaptiert. Sie bestünden »in und an sich und wollen nie zu etwas anderem werden, so wie nichts anderes zum Gedicht wird. Darin liegt ihre Schönheit.« Alle anderen Gattungen aber würden ständig ineinander übergeführt. Dabei könne beispielsweise eine Filmadaption eine implizite Kritik des zugrundeliegenden Romans sein, »indem der Regisseur wie ein guter Lektor darüber entscheidet, was in der Vorlage verzichtbar ist und was noch fehlt, um den Stoff zu seiner maximalen Wirkkraft zu führen«. Kehlmann führte an dieser Stelle Stanley Kubricks »Shining« (1980) nach Stephen Kings gleichnamigem Roman an. »Einer der wenigen fast perfekten Filme«, wie der Poetikdozent befand.

Die literarischen Gattungen, zog Kehlmann als Fazit, fingen jede für sich die Wirklichkeit unseres Daseins ein, »aber stets unter einem begrenzten Aspekt«. (GEA)