TÜBINGEN. Es war nicht nur Zufall oder ein reiner Marketing-Coup, dass sich bei der Weltpremiere des Films »Heldin« mit Leonie Benesch bei der diesjährigen Berlinale etliche Pflegekräfte versammelten, um das Anliegen, das sich mit dem Film verbindet, zu unterstützen. Nun hat im Beisein der Regisseurin Petra Volpe (»Die göttliche Ordnung«) die schweizerisch-deutsche Koproduktion im Kino Museum die Tübinger Frauenfilmtage eröffnet. Auch hier saßen mehrere Dutzend Pflegekräfte sowie Ärztinnen und Ärzte im Publikum.
»Viele Pflegende sehen den Film als Schlachtruf«, sagte Volpe. Ein Festivalbesucher meinte im Publikumsgespräch mit der Regisseurin: »Eigentlich müsste dieser Film im Deutschen Bundestag gezeigt werden.« Eine entsprechende Initiative dafür gebe es, sagte Volpe. Ob es klappen wird, ist noch offen.
Auf Schicht in einem Krankenhaus
Sieht man im Film Floria (Leonie Benesch), Pflegefachkraft auf der Bettenstation einer chirurgischen Abteilung in der Schweiz, anfangs noch beschwingt und voller Tatendrang durch die Flure des Krankenhauses gehen, wirkt sie bald schon gehetzt, weil gefühlt alle Patientinnen und Patienten, Angehörige und Kolleginnen und Kollegen gleichzeitig an ihr zerren, Dinge prompt erledigt haben wollen. Größtenteils zu Recht.
Floria hat gerade einen Urlaub beendet, nimmt sich zwischendurch eine Minute Zeit, um ihrer Tochter am Telefon eine gute Nacht zu wünschen. Weil aber eine Kollegin sich krankgemeldet hat, bleibt viel mehr an ihr hängen, als ein Mensch leisten kann. Nicht nur, weil es teils Schwerkranke sind, die hier ihre Hilfe brauchen. Es sind auch die Ängste und Eigenheiten der Menschen im Krankenhaus, mit denen sie umgehen muss. Jeder Handgriff scheint bei ihr zu sitzen, sie hat ein offenes Ohr für die Patientinnen und Patienten, singt mit ihnen oder richtet sie mit einem Blick, einer Geste oder einem freundlichen Wort auf, wenn sie verwirrt oder ängstlich sind. Am Ende macht sie aber auch Fehler, lässt sie Druck bei einem Patienten ab, der sie provoziert, kommt sie zu spät, als es einen Notfall gibt, nimmt sie die Last des Todes einer Patientin mit nach Hause. Leonie Benesch (»Babylon Berlin«, »Das Lehrerzimmer«, »September 5«), die früher in Tübingen die Waldorfschule besucht hat, spielt das mit großer Eindringlichkeit. Teilweise ist es fast so, als stecke man als Zuschauer in ihrer Haut. Dazu trägt auch die sensible Bildgestaltung von Judith Kaufmann bei.
Auf verlorenem Posten
Dass der aufwühlende Film, der seit Donnerstag regulär in den deutschen Kinos läuft und fast dokumentarisch wirkt, »Heldin« heißt, ist angebracht und zynisch zugleich. Angebracht, weil die Protagonistin tapfer die ungeheure Last einer enormen Verantwortung trägt. Zynisch, weil sie ständig gezwungen ist, über das von ihr Leistbare hinauszugehen, um Schwächen im System auszugleichen. Sie kämpft - nicht nur, was die Schwere der Krankheiten der ihr Anvertrauten betrifft - auf verlorenem Posten. Auf die gesellschaftliche Realität bezogen bedeutet das: Der Pflegenotstand wächst. Die Zahl derjenigen, die auf Hilfe angewiesen sind, wird immer größer, während die Arbeitsbedingungen so sind, dass sich immer weniger Menschen für Florias Beruf entscheiden.
Knapp zwei Millionen Menschen arbeiten in Deutschland derzeit in Pflegeberufen. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit blieben im vergangenen Jahr im Schnitt 32.000 Stellen für Pflegekräfte unbesetzt. Perspektivisch wird sich die Situation drastisch verschärfen. Petra Volpe, die gerade an ihrem ersten englischsprachigen Film, einem Gefängnisdrama mit Laurence Fishburne und Clifton Collins Jr., arbeitet, sieht »Heldin« »definitiv auch als politisches Statement«. Die Pflege sei »total unterbewertet«, sagt sie. »In Deutschland rennt man gerade in eine komplette Katastrophe rein. Wir übertreiben nicht in diesem Film. Es ist eine relativ normale Schicht.« Und: »Wir sind alle potenzielle Patientinnen und Patienten. Bessere Arbeitsbedingungen für die Pflege gehen uns alle an. Schlussendlich sind wir die Leidtragenden, wenn das nicht besser wird.« (GEA)