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Superhelden im Reutlingen von heute

Jens Kasper träumte schon lange von seiner eigenen Comicserie. Mit »Libelle und Drachenfaust« legt er sie vor

Jens Kasper bei der Arbeit. Vorn zu erkennen: Tübinger Tor, GWG und Reutlinger Stadthalle.
Jens Kasper bei der Arbeit. Vorn zu erkennen: Tübinger Tor, GWG und Reutlinger Stadthalle.
Jens Kasper bei der Arbeit. Vorn zu erkennen: Tübinger Tor, GWG und Reutlinger Stadthalle.

REUTLINGEN. Superhelden – die haben die Akteure des Reutlinger Markenbildungsprozesses, was man so hört, bislang nicht auf dem Schirm. Dabei ist die Achalmstadt neben Berlin so ziemlich die einzige deutsche Stadt, die eine Comicserie mit Superhelden vorweisen kann: Drachenfaust und Libelle – so heißt das Gespann, das seit August 2017 in Fortsetzungsbänden immer neue Abenteuer erlebt.

Es ist kein offizielles, von Marketingstrategen ersonnenes Reutlinger Ding. Die Serie geht vielmehr auf die Initiative eines Einzelnen zurück, der mit Herzblut und (noch) ohne Unterstützung durch einen Verlag an der Gestaltung jedes neuen Heftes arbeitet. Der in Reutlingen geborene, in Wannweil aufgewachsene und mittlerweile in Stuttgart lebende Mediengestalter Jens Kasper ist Autor, Zeichner und Herausgeber zugleich. Zum Gespräch mit dem GEA erscheint der 33-Jährige im Superman-T-Shirt, womit er nicht andeuten will, dass er selbst sich als Superheld sieht. Es ist eher eine Verbeugung vor den Pionieren des Genres, vor amerikanischen Vorbildern, die er keineswegs einfach nur kopieren will.

Heinrich heißt der Späthippie aus den 80er-Jahren, der sich nach einem Nahtod-Erlebnis magisch verwandelt als »Drachenfaust« in die Jetztzeit katapultiert sieht und mit seinem Walkman und der D-Mark, ohne Kenntnis von Smartphone und Internet erst mal ziemlich bedeppert dasteht.

»Meine Kindheit war geprägt durch die typischen Comics«

»Die Libelle« heißt eigentlich Marie, studiert an der Reutlinger Hochschule und gerät anfangs durch einen Putzjob im Stripclub in eine zwielichtige Welt – und in Todesgefahr. Im Gegensatz zu Heinrichs Superkräften sind ihre besonderen Fähigkeiten nicht magischer Natur, sondern beruhen auf einem revolutionären, kugelsicheren Fluganzug mit Antigravitationsstiefeln und Gleitflügeln, die sie per Datenbrille steuert. Servomotoren in Handschuhen und Stiefeln unterstützen ihre Muskelkraft und schützen die Gelenke. Diesen Libellen-Anzug hat Marie zusammen mit einem Wissenschaftler entwickelt, in dessen Firma sie als Werkstudentin arbeitet.

Heinrichs Superkräfte erklärt Jens Kasper so: »Heinrich bekommt durch einen mystischen lilanen Stein, der in seiner linken Hand steckt, die Fähigkeit, sich in die Drachenfaust zu verwandeln. In dieser Gestalt kann er aus seiner mutierten linken Hand Feuer schießen, hat eine Art feuerfeste zweite Haut und außerdem leicht erhöhte Körperkraft und verbesserte Nachtsicht.« Erst mit der Zeit wird dem Helden bewusst, über welche Fähigkeiten er da verfügt. Natürlich gibt es auch einen Schurken, mit dem es beide zu tun bekommen: Julius Adler. Er ist ein skrupelloser Waffenfabrikant, der buchstäblich über Leichen geht. Können die Superhelden ihn stoppen?

Schon als kleiner Junge, sagt Jens Kasper, habe er sich für Bildergeschichten begeistert. »Meine Kindheit war medial, abgesehen von einer handfesten Gameboy- und Fernsehsucht, geprägt durch die typischen Comics wie das Micky-Maus-Magazin, Asterix, Lucky Luke, Lustiges Taschenbuch, Werner, Spirou und Fantasio, Marsupilami, Fix und Foxi oder das Knax-Heft.« Als er zwölf war, kaufte ihm sein Vater für die Fahrt in den Warner Movie Park in Bottrop die Hefte »Batman Adventures #27« und »Die Maske #1«. »Seitdem bin ich nie wieder losgekommen von meiner Faszination für Comics«, schreibt er auf seiner Homepage comics.kasperdesign.de. »Da ich seit dem Kindergarten viel und leidenschaftlich gezeichnet habe, wollte ich die Superheldengeschichten um Batman, die Turtles, die Maske und Spiderman nicht nur lesen oder auf dem Bildschirm betrachten, sondern natürlich auch selbst zeichnen.«

Nachdem er bereits 1999 die Idee für Drachenfaust hatte, er damals aber noch »völlig ohne Plan« war, wie er einen eigenen Comic hätte umsetzen können, begann er 2014 erneut Skizzen zu machen. »Irgendwann war plötzlich auch noch die Libelle da, und hier sind wir jetzt.« Im Frühling 2016 fuhr Kasper mit Arbeitsproben und eigenem Künstlertisch auf die Comic- und Mangaconvention Oberhausen. Das sei sehr motivierend für ihn gewesen, sagt er.

Er ließ nicht mehr locker. Zwei Hefte, die – mit Cliffhangern – eine fortlaufende Geschichte erzählen, sind bisher erschienen, Band drei (»Libelle und Drachenfaust«, Kasper Comics, Stuttgart) ist derzeit im Druck und soll – noch ist kein potenter Partner gefunden – am Montag im Eigenverlag erscheinen. Kasper verkauft die Hefte im Direktvertrieb und auf Messen von Stuttgart bis Düsseldorf, von Dortmund bis Berlin.

»Aus finanziellen Gründen musste ich die Auflage auf 150 runterschrauben«, erklärt er. Die ersten Bände »Drachenfaust« (August 2017) und »Die Libelle« (Oktober 2017) waren noch in einer Auflage von 500 Exemplaren erschienen. »Die erste Storyline ist auf circa zwölf Hefte ausgelegt und mein Beitrag dazu, Superheldencomics aus Deutschland zu etablieren«, ließ Kasper seine Leser im Editorial zu Band eins wissen. Doch was hat das alles mit Reutlingen zu tun?

»Ich dachte mir, bevor ich eine Stadt erfinde, nehme ich Reutlingen, weil ich halt Reutlinger bin«

Die Stadt spielt nicht wirklich die Hauptrolle, kommt aber, und das hat Kasper bewusst so entschieden, in der Serie klar sichtbar vor. Auch wenn der Hörsaal der Reutlinger Hochschule vielleicht nicht ganz den Realitäten entspricht: Die Stadthalle nebst Schnurbäumen, das neue GWG-Gebäude, das Tübinger Tor, die Straße Unter den Linden sind gut getroffen. »Ich dachte mir, bevor ich eine Stadt erfinde, nehme ich Reutlingen, weil ich halt Reutlinger bin.«

Die Superheldengeschichten, die es sonst so gibt, spielen meist in einer postapokalyptischen Welt, in New York oder Berlin; in »Drachenfaust« spielt eine Schlüsselszene an den Gönninger Seen. Damit untermauert Kasper seinen Anspruch, Geschichten zu erzählen, die »eigenständig und einzigartig« sind.

Eine Action-Szene in einem der folgenden Bände will Kasper am Reutlinger Gaskessel spielen lassen. Auch sonst hält er nach Orten Ausschau, die Ortskundige identifizieren können. Wenn Architektur ins Spiel kommt, orientiert er sich an Fotovorlagen, ansonsten entstehen seine Welten im Kopf. Grobe Vorzeichnungen, »um ungefähr die Proportionen zu haben«, macht er mit Bleistift, dann geht er mit dem Fineliner drüber. Nicht selten zeichnet er im Biergarten oder in der Kneipe, weil er das anregend findet. Stifte und ein DIN-A4-Heft hat er, wenn er unterwegs ist, fast immer dabei. »Ich kann eigentlich überall zeichnen, wo ich einigermaßen Licht habe.«

Seine Comics sind nicht unbedingt etwas für empfindliche Gemüter – da fließt durchaus auch Blut. Heinrich (»der Name soll zeigen, dass er nicht aus dieser Zeit kommt«) ist als Held so angelegt, dass sich auch Leser über 30 mit ihm identifizieren können. Er trägt als Normalo Schlaghosen, ist nicht so technikaffin wie Marie, die dynamische junge Frau von heute, kifft und hört Musik von Black Sabbath.

Kasper will mit beiden Figuren die Kluft zwischen jüngeren Lesern, die mit Mangas aufgewachsen sind, und etwas älteren, die sich noch an das Analogzeitalter erinnern, überbrücken. Seit 2015 arbeitet er als Storyboard-Illustrator und erstellt außerdem Homepages, Logos, Flyer, Plakate, Produktkataloge für Firmen. Er träumt bereits von einer Verfilmung seiner Comics. Til Schweiger könnte er sich gut als Bösewicht Julius Adler vorstellen, »für die Libelle käme eventuell Palina Rojinski in Frage«. Für Ghettofaust, der in Band drei erscheint, fände er den Rapper SSIO passend. »Aber eins nach dem anderen«, meint der 33-Jährige schmunzelnd. (GEA)