SAARBRÜCKEN. Schwermetall ist nicht nur eine Gattung, sondern ein Glaubensbekenntnis. Das Quintett Po-werwolf aus Saarbrücken hat sich zu einer der populärsten Metal-Bands entwickelt. Ihr sakraler Sound, die psalmenhaften Texte und hymnenhaften Melodien werden selbst in den USA geschätzt. Mit ihrem neuen Album »Wake Up The Wicked« entführen Powerwolf die Hörer ins Mittelalter. Damit will die Band im Herbst die Hallen rocken. Mit Keyboarder und Songschreiber Christian Jost, 48, alias Falk Maria Schlegel sprach Olaf Neumann.GEA: Der Metal gibt Ihnen seit 20 Jahren ein Zuhause. Muss dieses Zuhause von Zeit zu Zeit renoviert und mit einem frischen Sound versehen werden?
Falk Maria Schlegel: Ich würde sagen, gewartet. Wenn du eine eigene Immobilie hast, musst du ja auch schauen, dass hier und da die Dinge zusammenhalten. Wir haben das Glück, unseren eigenen Stil gefunden zu haben. Aber natürlich versuchen wir hier und da, neue Elemente und das ein oder andere mittelalterliche Element reinzunehmen. Wobei ich betonen möchte, wir sind keine Mittelalter-Band. Wenn du wie bei »Heretic Hunters« die Hauptmelodie mit einer Orgel spielst, ist der Song von der Dynamik her ganz anders.
»1589« erzählt die Geschichte von Peter Stump. Der Bauer wurde in dem Jahr beschuldigt, im Rheinland als Werwolf an die 70 Morde verübt zu haben. Was fasziniert Sie an seinem Schicksal?
Schlegel: Als wir uns tiefer mit dieser Geschichte be-schäftigten, kam die Erkenntnis, was für eine schlimme Zeit das war. Da wurden Menschen verurteilt, die vielleicht einfach nur Außenseiter waren. Man hat Peter Stump alles mögliche angedichtet. Den Werwolf-Prozess und die Hinrichtung gab es wirklich, aber wie, wann, wo und ob Stump jemand umgebracht oder sich in einen Werwolf verwandelt hat, ist Teil der Mythologie. Gleichzeitig stellt man fest, dass der Protestant Peter Stump in einer Region gewohnt hat, in der viele Katholiken lebten. Man war schnell dabei, einen Sündenbock zu finden. Diese schwarze Zeit finde ich faszinierend. Die Geschichte ist mit Angst und Schrecken verbunden, aber ich empfinde auch Sympathie für Peter Stump.
Der Videoclip zu »1589« kommt wie ein Minispielfilm daher. Was ist die Botschaft dieses Clips?
Schlegel: Mit Botschaften tue ich mich schwer. Für uns ist eher der cineastische Ansatz wichtig. Zu interagieren mit echten Schauspielern, Regisseuren und Requisiten. Die Schauspielerei ist für uns viel interessanter als ein Blue Screen und künstliche Intelligenz. Wir wollen live nicht nur ein Konzert spielen, sondern auch eine Art Theaterstück aufführen. Aber weit weg von einem Musical.
Sie sparen auch auf dem neuen Album nicht mit Kirchenkritik. Ist Ihnen das ein Anliegen?
Schlegel: Kirchenkritik ja, aber subtil. Also nicht wirklich diese Institutionskritik. Mit »Glaubenskraft« auf dem letzten Album haben wir das sehr deutlich gemacht. Es geht bei uns eher darum, in solche Geschichten tiefer reinzugehen. Diesmal sind es die von der Jungfrau von Orleans oder den »Heretic Hunters«. Das waren die sogenannten Katharer in Südeuropa, die der katholischen Kirche ein Dorn im Auge waren. Sie glaubten auch an Gott, aber irgendwie anders und wurden zu mächtig. Deswegen wurden sie ganz schnell zu Ketzern erklärt und verbrannt. Dieses Mundtotmachen in der Vergangenheit kann man definitiv kritisieren. Aber ich sage mit vollem Selbstbewusstsein: Wir sind auch Unterhalter.
Das Leben der Johanna von Orléans, die mit 13 Jahren die Stimme von Gott zu hören glaubte und auf dem Scheiterhaufen endete, fasziniert seit jeher die Künstler.
Schlegel: Ich hatte gestern einen Interviewtag in Paris, da war das Thema »Jeanne d’Arc« allgegenwärtig. Dass eine junge Frau die Vision hatte, die Franzosen vom Krieg zu befreien, übt eine große Faszination aus. Und sie hat sich durchgesetzt in einer von Männern dominierten Welt. Eigentlich waren alle ihr zugewandt, aber sobald sie kritische Töne äußerte, wurde sie den Obrigkeiten zu mächtig und in Rouen auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Wir wollten schon länger über Jeanne d’Arc schreiben, brauchten dazu aber ein gutes Lied. Es sollte eine marschierende Richtung vorgeben, aber wir wollen hier nichts in Richtung Feminismus aussagen.
Apropos Feminismus: Was hat Sie zu dem satirischen Song »Kyrie Klitorem« (Herr, erbarme dich der Klitoris) bewogen?
Schlegel: Für ein Gegenstück zu den maskulinen Songs »Resurrection By Erection« (Wiederauferstehung durch Erektion) und »Coleus Sanctus« (Heiliger Hoden) wurde es mal Zeit. Wir nehmen uns die künstlerische Freiheit, mit Worten zu spielen und Witz und Ironie mit reinzubringen. Man sollte nicht alles bierernst nehmen.
Betrachten Sie die Machokultur des Metal gern durch die ironische Brille?
Schlegel: Ich habe den Eindruck, dass die Szene sich stark verändert hat. Auf Konzerten sind tendenziell mehr Männer als Frauen, aber auch ganz viele Frauen hören Metal. Mein Eindruck ist, dass diese Community sehr rücksichtsvoll ist. Machogehabe kenne ich persönlich weder von Backstage noch von Konzerten. Wir betonen auf unseren Konzerten zwar, wir dürfen alle Sünder sein, aber das ist in einem anderen Kontext gemeint. (GEA)
Powerwolf: 11. Oktober Schleyerhalle Stuttgart