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Stoffliche Befragung der Gegenwart

Nilbar Güres nimmt im Kunstverein Reutlingen Kontakt zum Dorf ihrer Herkunft in der Türkei auf

Technik und Natur im malerischen Widerstreit, ergänzt durch die heimelige Wärme eines Webteppichs: die türkische Künstlerin Nilb
Technik und Natur im malerischen Widerstreit, ergänzt durch die heimelige Wärme eines Webteppichs: die türkische Künstlerin Nilbar Güres¸ in ihrer Ausstellung im Kunstverein. FOTO: VEY
Technik und Natur im malerischen Widerstreit, ergänzt durch die heimelige Wärme eines Webteppichs: die türkische Künstlerin Nilbar Güres¸ in ihrer Ausstellung im Kunstverein. FOTO: VEY

REUTLINGEN. Fotografien, Plastiken, Collagen und eine Videoinstallation, die erstmals in Deutschland gezeigt wird, präsentiert Nilbar Güre s¸ unter dem Ausstellungstitel »Erzähl mir« im Reutlinger Kunstverein. Im Mittelpunkt steht ein kurdisch-alvetisches Dorf, die Heimat vom Vater der Künstlerin. Neben solchen autobiografisch gefärbten Bezügen greift sie auch universelle Themen auf und arbeitet gern mit Stofflichem.

Nilbar Güre s¸, 1977 in Istanbul geboren, studierte in ihrer Geburtsstadt an der Kunsthochschule, außerdem Malerei und Grafik an der Akademie der bildenden Künste in Wien. »Meine Kunst ist politisch«, erklärte sie. Bevölkerungsgruppen, die um ihre gesellschaftliche Anerkennung kämpfen, sind eines ihrer Themen: etwa die kurdisch-alevitischen Teile der türkischen Bevölkerung.

Häufig zeigt sie dabei einen Ort im kurdisch-alevitisch geprägten Teil der Türkei – der Name soll nicht genannt werden –, wo ihre elterlichen Wurzeln liegen. Lange habe Nilbar Güre s¸ zu diesem kleinen Dorf keine Verbindung gehabt. »Es war meine eigene Kultur, die ich nicht kannte. Aber dieser Ort hat mich sehr inspiriert und er hat mich viele Emotionen gekostet«.

In großformatigen Fotos ist der Ort abgebildet, karg und von Bergen umgeben ist er. Andere Abbildungen zeigen beispielsweise eine Schneelandschaft oder ein einfaches Steinhaus, das von der Sonne angestrahlt wird. Grund, dieses Dorf aufzusuchen, war für die Künstlerin auch, dass »ich dort helfen wollte, eine Schule aufzubauen. Aber es gab vom Staat keine Erlaubnis, weil solche privaten Aktivitäten nicht gestattet sind.«

Ebenso wenig ist ein Krankenhaus vorhanden. Auch das Telefonieren ist nicht möglich, selbst der Mobilfunk ist nur begrenzt verfügbar. Wie die Bewohner auf die Berge klettern, um doch telefonieren zu können, welche Fragen sie der Verwandtschaft stellen und dass sie auch bei Schneestürmen diese Wege auf sich nehmen, sind Ausschnitte, die in der Videoinstallation »Open Phone Booth« zu sehen sind. Güre s¸ macht hier die Isolation spürbar, unter dem der Ort wegen der Kriegskonflikte leidet.

Mix aus Malerei und Textil

Die Fäden in der Hand halten – also das Arbeiten mit Textilien – ist, was die Werke Güre s¸’ in die Nähe von Louise Bourgeois’ Kunst rückt. Dabei verbindet sie gern Zeichnungen und Stoffe. Beispielsweise in der Arbeit »Moving Paiting«, die im oberen Teil unter anderem einen Computer zeigt, während der untere Teil aus einer sich einrollenden Stoffbahn besteht. Der steten Präsenz im Internet stellt sie damit einen Gegensatz gegenüber, den eine sich einrollende Decke bietet – deren Schutz und Intimität.

Die türkische Künstlerin spielt in diesen Werken auch gern mit der Mehrdeutigkeit des Stofflichen. Beispielsweise bei einem lichtundurchlässigen Vorhang, der sich über zwei Fenster im Ausstellungsraum spannt und mit traditionell-türkischem Muster versehen ist. Er kann Trennung oder Ausgegrenztsein symbolisieren. Stoff ist ein leichtes Material, das sich gut transportieren lässt – dann steht der Vorhang für die Heimat, die man quasi im Koffer, also auf Reisen, mitnehmen kann. Den Vorhang hat Nilbar Güre s¸ extra für die Reutlinger Ausstellung gefertigt. Als Konzeptkünstlerin arbeitet Güre s¸, und das spiegelt sich auch in den plastischen Werken wie »Thirsty for Lily« oder der Collagen-Serie »La Pas«. (GEA)

AUSSTELLUNGSINFO

Die Ausstellung »Erzähl mir« mit Arbeiten von Nilbar Güre s¸ ist bis 2. Februar 2020 im Kunstverein Reutlingen in den Wandel-Hallen, Eberhardstraße 14, zu sehen, Mittwoch bis Freitag 14 bis 18 Uhr, Samstag, Sonntag und Feiertage 11 bis 17 Uhr. (GEA)

www.kunstverein-reutlingen.de