REUTLINGEN-ROMMELSBACH. Lilli Weinstein ist für ein Jahr die neue Inhaberin des Stipendiums für Kunst und Inklusion, vergeben vom Kulturpark Reutlingen-Nord in Kooperation mit dem Kunstverein Reutlingen und den Hochschulstudiengängen Künstlerische Therapien der HfWU Nürtingen-Geislingen. Die Ausstellung der Künstlerin, die in Den Haag Fotografie studierte, dann in Köln lebte und arbeitete und jetzt in den Süden zurückkehrte, ist im Café des Kulturparks zu sehen und entstand bereits im Vorfeld des Stipendiums. Für den musikalischen Rahmen sorgte die inklusive Veeh-Harfen-Gruppe von Rappertshofen zusammen mit Keyboard und Saxofon.
Norbert Peichl, Vorsitzender des Kunstbeirats im Kulturpark und früherer Einrichtungsleiter, würdigte die Arbeiten von Lilli Weinstein als »sehr mutige Öffnung« zu anderen Menschen. »Sie thematisiert zwischenmenschliche Prozesse und dokumentiert sie mit der Kamera.« Das verlange eine »Suche nach inneren Schätzen« und »große Ehrlichkeit mit sich und anderen«. Genau das seien auch die Themen der Einrichtung. Lilli Weinstein dankte für das Stipendium, das neben künstlerischer Tätigkeit auch die aktive Beteiligung in Rappertshofen beinhaltet. »Ich bin gut hier angekommen«, sagte sie.
Interaktion von Mutter und Tochter
Die Arbeiten an den Wänden gliedern sich in drei Bereiche. Fotos und ein Transparent mit Pflanzenabdrücken drehen sich um die Begegnung der Künstlerin mit ihrer Mutter im Garten. Beide widmen sich der Gartenarbeit, haben aber zuvor ein Drehbuch erstellt, was sie thematisieren werden. »Es geht beispielsweise um das Ernten, ob Pflanzen verwelkt sind und ob uns dieses innerlich berührt,« so die Stipendiatin. Daraus entstehe eine Interaktion und auch intensiver Kontakt zwischen Mutter und Tochter.
Im zweiten Bereich suchte die Künstlerin über Briefe, die sie in einem Park in Den Haag verteilte, Kontakt zu Fremden. Sie fragte, ob sie an ihrem Projekt teilnehmen würde, bei dem es um Schüchternheit, Ängste und ihre Auswirkungen gehe. Sie lud die Personen in ihre Wohnung ein und fotografierte die gemeinsame Auseinandersetzung mit den schwierigen Themen. »Auf diese Weise haben wir die Angst als Instrument und Stärke genutzt.«
Briefe an die Gäste
Das dritte Thema war ebenso tiefschürfend: Es ging um den Abschied. Weinstein quartierte sich mit Asli, einer bis dahin fremden Frau, in ein Hotelzimmer ein, wo sie sich im Projekt »Recipe for fast Nostalgia« zwei Tage mitten in die Problematik hinein begaben. »Welche Arten von Abschied gibt es?«, »Wie gehe ich mit Abschied um?«, »Wie sammle ich kostbare Erinnerungen?«, lauteten die Fragen. Es entstanden so viele Fotos, dass sie als kleine Kontaktabzüge ausgestellt sind. Ganz bewusst, so Weinstein, habe man sich mitten hinein in die schmerzhafte, schwierige Thematik begeben, zu der man mithilfe der Kamera und des Drehbuchs aber auch eine gewisse Distanz bewahren konnte. Auch in der Ausstellung gibt es kleine Briefe, die an alle Gäste gerichtet sind und sie auffordern, sich mit ihren »Dämonen« auseinanderzusetzen.
Am Dienstag, 19. November, um 17 Uhr und am Mittwoch, 20. November, um 10 Uhr kann man sich im Café des Kulturparks RT-Nord (Rappertshofen 4) mit der Künstlerin austauschen. Die Ausstellung ist bis zum 12. Januar zu sehen. (GEA)