REUTLINGEN. Wenn Anne Czichowskys Jazzpartout die kleine Bühne im Jazzclub Mitte betreten, fühlt man sich sofort rückversetzt in die 60er- und 70er-Jahre. Und was auf der Bühne so vertraut aussieht, das klingt auch so. Denn der Formation um die junge Stuttgarter Sängerin Anne Czichowsky liegen besonders Jazzstandards und Balladen am Herzen. Die fünf Musiker agieren gekonnt im amerikanischen Vocaljazz, pendeln zwischen coolen Blue-Note-Standards und hymnischer Coltrane-Nachfolge. Sie bedienen das Publikum routiniert mit einem Mix aus Standards und einer Auswahl bekannter und unbekannter Stücke aus dem Great American Song Book.
Überzeugend vor allem das verspielte Round Midnight und das groovebetonte Spain von Chick Corea, in dem sich die Sängerin mit den langen, roten Haaren ausgiebig ihrer großen Passion, dem Scatgesang widmet. Anne Czichowsky muss den Vergleich mit anderen Sängerinnen des deutschen Jazz nicht scheuen, denn wenn es darauf ankommt, ist ihr Organ überaus präsent. Vor allem aber ist es die harmonische Einheit aus Intonation, Stimmlage und Timing, die ihre intensive Stimme zur Geltung kommen lässt.
Auch ihre Begleiter, der für Saxofonist Stefan Koschitzki eingesprungene Jochen Feucht, Peter Gromer (Klavier), Jan-Philipp Wiesmann (Drums) sowie Markus Braun am Bass bewegen sich souverän in den Gewässern eines weltoffenen Mainstream-Jazz. Es handelt sich um ein Ensemble auf Augenhöhe kommunizierender Solisten. Auch im Dialog spielt sich niemand unnötig in den Vordergrund. Entscheidend geprägt wird die Musik des Quintetts von der starken Stimme Czichowskys. Als Sängerin beherrscht die Stuttgarterin den Scatgesang ebenso wie Jazzstandards und Balladen im swingenden Umfeld. Insgesamt eine Musik, die keine Härten kennt und wenig Ecken und Kanten. Die raffinierten, mit wenigen Eigenkompositionen angereicherten Klangarrangements beziehen ihren Reiz eher aus dem Wiedererkennungseffekt und der sprudelnden Spielfreude der fünf Musiker.
Drei Sets lang widmet sich Anne Czichowsky den schönen, entspannten Seiten des Jazz. Nie besteht die Gefahr des Abstürzens, die Wohlgefälligkeit obsiegt. Stark, diese Stimme, murmelt ein Mitte-Gast in sein Bierglas. (jüsp)
