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Stück, das sensibilisiert: »All das Schöne« am Landestheater Tübingen

Von Hilfe und Selbsthilfe erzählt Duncan Macmillans Stück »All das Schöne«, das das Landestheater Tübingen in einer Inszenierung von Thorsten Weckherlin mit Schauspieler Jonas Hellenkemper zeigt.

Jonas Hellenkemper in »All das Schöne« am LTT.
Jonas Hellenkemper in »All das Schöne« am LTT. Foto: Martin Sigmund / LTT
Jonas Hellenkemper in »All das Schöne« am LTT.
Foto: Martin Sigmund / LTT

TÜBINGEN. Schon beim Monospektakel der Tonne im Februar 2022 hat Duncan Macmillans Stück »All das Schöne« (Originaltitel: »Every Brilliant Thing«) beeindruckt. Die Inszenierung von Stephanie Rolser mit der Schauspielerin Jessica Schultheis gewann damals den Wettbewerb um die »Tonnella«. Nun zeigt das Landestheater Tübingen eine Fassung des Solos mit dem Schauspieler Jonas Hellenkemper, der in der Inszenierung von Thorsten Weckherlin nicht minder berührt. Und das Publikum - wie es Prinzip bei dem Stück des englischen Dramatikers ist - auf lebendige Weise miteinbezieht.

»Ein umwerfend komisches Stück über Depression – und womöglich eines der komischsten Stücke überhaupt«, befand der »Guardian«, als das Solo in England herauskam. Macmillan hatte es mit dem Comedian Jonny Donahoe entwickelt. In Tübingen blitzt diese Komik hier und da auch auf, grundiert den schmalen Grat zwischen Schwere und Leichtigkeit, Trostlosigkeit und Zuversicht sehr menschlich. Führt dazu, dass man ganz bei den Figuren ist. Anteil nimmt an dem, was das Leben lebenswert macht - bei allem, was einem manchmal hineingrätscht, einen zum Fallen bringt.

Alles, was Freude macht

Jonas Hellenkemper verkörpert - sensibel und unsentimental - einen jungen Mann, der das Trauma der Selbsttötungsversuche seiner Mutter nie überwunden hat. Der sich schuldig fühlt, obwohl er weiß, dass er es nicht ist. Der als Kind anfängt, eine Liste zu erstellen mit allem, was ihm Freude macht - vom Speiseeis über »Länger aufbleiben dürfen als sonst und fernsehen« bis hin zu »Spaghetti Bolognese von Mama«. Der Phasen des Genusses und des eigenen Glücks gleichwohl mit Misstrauen begegnet. Weil er immer einen Absturz, den Fall ins Bodenlose befürchtet.

Die Liste taucht immer wieder in seinem Leben auf, prägt wortlos das Verhältnis zu seinem Vater und seiner Mutter. Und später auch zu seiner Freundin, die er heiratet und die ihn verlässt, weil er zu depressiv ist, um sich Hilfe zu holen.

Der Radius weitet sich

Das Licht bleibt an, als die Vorstellung in der kleinen LTT-Oben-Spielstätte beginnt. Die Trennung zwischen Zuschauerraum und Bühne ist aufgehoben. Das Publikum sitzt um Jonas Hellenkemper herum auf Stühlen, übernimmt, von ihm angesprochen, kleinere Rollen. Jeder hält zudem einen Zettel mit Worten oder Halbsätzen aus der Liste des Protagonisten in den Händen, trägt diese vor, wenn er - euphorisch oder weil er gerade Trost braucht - die dazugehörige Nummer aufruft. So entsteht eine Interaktion, weitet sich der Radius des Einzelnen zu einem Netzwerk, wird deutlich, dass soziale Anteilnahme und Austausch an die Stelle von Isolation treten können. Das macht Mut, sensibilisiert und ist wichtig in Zeiten, die von Verunsicherung und Spaltung geprägt sind. (GEA)