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Aktuell Humor

Ständchen für die Republik

STUTTGART. Hand aufs Herz: Wann sind Sie zuletzt dreieinhalb Stunden am Stück irgendwo gestanden? Ob Ihre Lendenwirbel, Knie und Moral so was mitmachen, hätten Sie am Montagabend testen können. Da war Rainald Grebe, einer der genialsten Unterhalter dieser Jahre, zu Gast im Theaterhaus. Er zelebrierte mit dem »Orchester der Versöhnung« das neue Programm »Berliner Republik«. Bis halb zwölf, während sein Publikum immer öfter auf die Uhr schaute.

Solide Sache, diese »Berliner Republik« der Marke Grebe. Selbst wenn das neue Programm für langjährige Fans kaum Überraschungen bietet, weil Grebe sich stilistisch treu bleibt. Etwas weniger Moll-Akkorde am Flügel diesmal, dafür mehr Band, Gesampeltes und tolle Brass-Einlagen einer Vier-Frau-Bläsercombo. Was der Mann singt und wie er seine Themen wählt, hat man von ihm so ähnlich schon gehört. »Ich bin Berater« ist ein Aufguss von »Ich bin der Präsident«, und die Berlin-Mitte-Szene-Typen, die er im neuen Programm nabelschaulabernd brunchen lässt, bis sie das Wählengehen verpasst haben, geisterten auch schon durch etliche Nummern. Über sie zu lachen klappt aber noch hervorragend.

Im Zeichen der Quadriga

Sein glubschiges Augenrollen, die überstrapazierten Stimmbänder, der Hang zu überzeichneten Kostümen, all das zitiert sich irgendwann selbst, aber dafür liebt man Grebe ja. Dass das neue Programm ein politisches sein soll und im Zeichen der Brandenburger-Tor-Quadriga steht, ist hingegen wohl dosiert bis unterschwellig. Stattdessen wurde man plüschig willkommen geheißen bei der »kleinen Betriebsweihnachtsfeier in diesem Großlokal«, mit flackernder Adventskerze per Videowand, Mitmachliedern, Weihnachtsmedley und Bekenntnis zu ganzjährigem Stollen und Spekulatius. »Für uns Weihnachtsprofis beginnt die Adventszeit am 27. Dezember.«

So ein Grebe-Programm lebt von den Details, Nebensätzen und Exkursionen. Von Interaktionen mit einer Applausmaschine, liebevoll gefakten Einspielfilmchen und der Offenlegung jener Zusammenhänge, die dazu führten, dass nach dem kriegsbedingt abgesagten Karneval 1991 plötzlich Halloween in Deutschland eingeführt wurde – als neuer Markt für Süßes, Schminke und Kostüme.

Stehplätze dank Planungsfehler

Das mit den Stehplätzen war ein Planungsfehler, hieß es zwischendurch. Weil der Saal unbestuhlt gebucht worden war, lange bevor das Programm stand, und weil jenes Programm ursprünglich mal deutlich tanzbarer geplant war. Später ließ sich die Buchung nicht mehr ändern. Immerhin, so konnte man sich gelegentlich im Takt wiegen. Wenn nicht gerade, wie beim Klassiker »Volksliedersingen«, der Rhythmus alle zwei Takte durcheinanderpurzelt.

Nach 23 Uhr standen irgendwann Menschen mit Gummihandschuhen und Sprühflasche hinten im Saal, die Reinigungskräfte des Theaterhauses, auf den Schlussakkord wartend. Security und Sanitätsdienst lehnten kopfschüttelnd vor der Tür. Hört der denn nie auf? Nein, erst noch Zugaben. Ein bisschen Altes: »Oben«, »Prenzlauer Berg«, der Stadtteil mit dem Biofeuerwerk, plus jene Hymne, die beinahe schon ein Welthit ist, »Brandenburg«. »Was ist der Unterschied zwischen einem Jazzpianisten und mir? Der Jazzpianist spielt 1000 Akkorde in drei Minuten.« Während die einen noch lachten, rannten die anderen hinten raus. Mit Stühlen wäre es ein ziemlich perfekter Abend gewesen. (GEA)