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Aktuell Jazzfrühling

Sphärisch und schräg: Das Nordsnø-Ensemble im Reutlinger Jazzclub

Das Nordsnø-Ensemble entführt beim Reutlinger Jazzfrühling im gut besuchten Jazzclub in der Mitte in sphärische und unkonventionelle Klangwelten.

Die schwedische Sängerin Lotta Leitz besetzt die emotionale Rolle in dieser unkonventionellen Truppe.
Die schwedische Sängerin Lotta Leitz besetzt die emotionale Rolle in dieser unkonventionellen Truppe. Foto: SPIESS
Die schwedische Sängerin Lotta Leitz besetzt die emotionale Rolle in dieser unkonventionellen Truppe.
Foto: SPIESS

REUTLINGEN. Ein munteres Kreuzüber und musikalisches Nebeneinander von skandinavischer Folklore, modernem Jazz, rockigen Elementen und lyrischem Gesang konnten die rund 50 Besucher am Samstag beim Reutlinger Jazzfrühling erleben: Die sieben Musiker des Nordsnø Ensembles ließen im Jazzclub in der Mitte sphärische und überaus schräge Klanglandschaften entstehen.

Das Ensemble mit Musikern aus Hamburg, Berlin und Stockholm lieferte ein Konzert ab, das sich gerne über die konventionelle Kunst hinauswagt. Da wird nicht Jazz in herkömmlicher Weise zelebriert – aber auch ins vorgefertigte Nordlicht-Raster lässt sich das schwedisch-norddeutsche Ensemble nicht pressen. Vielmehr wird mit Harmonien skandinavischer Volkslieder jongliert, die zwischen Saxofon, Posaune, Piano, Kontrabass, E-Gitarre, Schlagzeug und elfenhaftem Gesang hin- und herfliegen. Eng geknüpfte, dichte Teppiche aus Tönen, hier gezupft, da geblasen, dort als leises Solo hinterlegt. Dann wieder wird die mystische Stimmung durch einen fast freejazzigen Saxofoneinschub des Hamburger Komponisten und Arrangeurs Vincent Dombrowski gebrochen. Oder der Gitarrist lässt berstende Improvisationen im Stile von Radiohead erklingen.

Elfenhafte Stimme

Neben den Brüdern Vincent (Saxofon und Flöte) und Ken Dombrowski (Posaune), dem Pianisten Sandro Sáez und dem Gitarristen Lukas Wilmsmeyer wirken noch Vincent Niessen (Kontrabass), Johannes Metzger (Drums) und Lotta Leitz (Gesang) mit. Sie alle geben sich als pointierte Sound-Frickler, die die verzahnten Klänge in kleine Skizzen unterteilen, zusammenbinden und vorantreiben.

Die gut Deutsch sprechende Schwedin Lotta Leitz besetzt die emotionale Rolle in dieser unkonventionellen Truppe: Mit einer sanften und elfenhaften Stimme, die klar und geheimnisvoll, aber nie sentimental klingt. Vielleicht gerät der Auftritt auch wegen dieser Stimme so überraschend eigenständig.

Außergewöhnliche Spannungsbögen

Differenzierte Grooves, elektronische Elemente, freie Improvisation und außergewöhnliche Spannungsbögen treffen in schnellem Wechsel aufeinander. Dies alles formen diese Musik-Anarchisten zu einem abwechslungsreichen, doch nicht einfach zu verdauenden Personalsound. Das Septett überzeugt ebenso durch sicheres Zusammenspiel wie durch solistisches Einfühlungsvermögen. Verspielte Visionäre sind das, die nichts dem Zufall überlassen. In den zwei recht kurzen Sets entlocken die Musiker ihren Instrumenten zum Teil aberwitzige Rhythmusmuster. Zum größten Erstaunen der Zuschauerschar, von denen aber auch einige diesen schrägen Gig zur Pause verlassen.

Dabei wird die Musik im zweiten Set eingängiger. Vor allem bei der schönen Meer-Hymne »Till havs« als Zugabe und der aus drei Teilen bestehenden, dunkel-existenzialistischen Suite »Snöporten« lässt das Nordsnø-Ensemble eindrucksvolle Bilder entstehen, die live voll zur Geltung kommen. Man mag das Ganze sehr nordisch und eigenbrötlerisch finden, aber Vieles in diesen anderthalb Stunden klingt so noch selten gehört und im besten Sinne leichtsinnig. (GEA)