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»Sonnengesang« bei Musica Nova im Kunstverein Reutlingen

Unter anderem Werke von Veit Erdmann-Abele beeindruckten im Musica-Nova-Konzert im Kunstverein Reutlingen. Neben dem Vokaloktett Karlsruhe war auch die Schlagzeugvirtuosin Leonie Klein zu erleben.

Komponist Veit Erdmann-Abele und Mitglieder des Vokaloktetts Karlsruhe in der Galerie des Kunstvereins Reutlingen.
Komponist Veit Erdmann-Abele und Mitglieder des Vokaloktetts Karlsruhe in der Galerie des Kunstvereins Reutlingen. Foto: Christoph B. Ströhle
Komponist Veit Erdmann-Abele und Mitglieder des Vokaloktetts Karlsruhe in der Galerie des Kunstvereins Reutlingen.
Foto: Christoph B. Ströhle

REUTLINGEN. Strophenlieder seien im 20. Jahrhundert so ein bisschen aus der Mode gekommen, sagte Veit Erdmann-Abele beim Musica-Nova-Konzert am Freitagabend in der Galerie des Kunstvereins Reutlingen in den Wandel-Hallen. Der Reutlinger Komponist hat den 800 Jahre alten »Sonnengesang« von Franz von Assisi (Deutsche Textübertragung: Veit Erdmann-Abele) vertont und seine Komposition so gestaltet, dass sie quasi einstimmig beginnt und einstimmig endet. Dazwischen fächert sich der Chorklang achtstimmig auf, was durch einen beeindruckenden Ausdrucks- und Farbenreichtum einen besonderen Reiz ausmacht.

Was das wiederkehrende »Laudato si, mi Signore« (»Gepriesen seist du, o Herr«) betrifft, entschloss sich Erdmann-Abele, Anleihen bei der Gregorianik zu nehmen, »sozusagen die Musik unserer Zeit zurückzuführen in die Geisteshaltung des 13. Jahrhunderts«.

Zeit zum Luftholen

Die Reutlinger Aufführung war die Erstaufführung in der Besetzung Marimbafon und Vokaloktett. Zum Vokaloktett Karlsruhe, dem auch die Reutlinger Florian Hartmann und Sebastian Schäfer (beide Bass) angehören, gesellte sich die viel gerühmte Schlagzeugerin Leonie Klein, die mit lebhaften Klängen auf dem Marimbafon ein instrumentales Gegengewicht zum Vokalklang schuf. Ob die Rechnung des Komponisten allerdings aufging, mit dem Einsatz des Instruments nicht nur dem Chor Zeit zum Luftholen, sondern auch den Zuhörerinnen und Zuhörern Zeit zum Nachdenken zu verschaffen, sei dahingestellt. Zu faszinierend war - auch optisch - Leonie Kleins hellwach-punktgenaues Spiel, mal sehr präsent, mal lediglich Grundrauschen, als dass man in diesen Momenten das vom Chor Vorgebrachte in Sonderheit hätte reflektieren können. Die Aufführung gewann durch den Einsatz des Schlaginstruments aber ungemein. Schön auch, wie das Vokaloktett die Klänge, die mal ein Fließen waren, mal etwas Blockhaft-Statisches hatten, herausschälte.

All das fand in der Ausstellung »Macht und Sinn – Dominik Halmer & Ria Patricia Röder« (noch bis 15. Juni in der Kunstvereinsgalerie zu sehen) statt. Es war das erste Mal, dass die städtische Musica-Nova-Reihe (deren künstlerischer Leiter Veit Erdmann-Abele in früheren Jahren war) im Kunstverein zu Gast war.

Meditativ und kreisend

Von Veit Erdmann-Abele war außerdem die Motette »Alle Geschöpfe der Erde« zu hören. Eine Uraufführung. Ein Werk, in dem der Komponist ein wenig versucht hat, seine eigene Musiksprache in die Musikwelt des 13. Jahrhunderts zu führen, wie er eingangs sagte. Die Musik hat etwas Meditatives, Kreisendes. Töne werden vokal umspielt, schwellen an, überlagern sich dissonant. Es gibt ungewöhnliche Intervalle, etwa hin zum Wort »Glück« (nach dem laut Text alle Geschöpfe der Erde streben).

Gerahmt war der Abend durch Wolfgang Rihms »Missa brevis«-Sätze Kyrie und Agnus Dei. Vorwiegend in dichter Polyfonie gestaltet, vier- bis achtstimmig, auch mit ausdrucksstarken homofonen Episoden. Das Vokaloktett gab auch Stücken wie »Schein uns, du liebe Sonne« von Arnold Schönberg, Sven-David Sandströms »Hear my Prayer« (nach Henry Purcell) und Jaakko Mäntyjärvis »Die Stimme des Kindes« besondere Anmut. Mit der Uraufführung von Yangkai Lins »Epilog« (in Videoform schon während der Coronapandemie präsentiert) zeigte sich das Ensemble am Puls der Zeit. Gelegentliche Klicklaute und Glissandi gaben der Musik etwas Eulenspiegelhaftes.

Leonie Klein war beim Musica-Nova-Konzert an Drums und Marimbafon zu erleben.
Leonie Klein war beim Musica-Nova-Konzert an Drums und Marimbafon zu erleben. Foto: Christoph B. Ströhle
Leonie Klein war beim Musica-Nova-Konzert an Drums und Marimbafon zu erleben.
Foto: Christoph B. Ströhle

Leonie Klein legt beim Solospiel eine Energie und Frische und zudem eine Begeisterungsfähigkeit an den Tag, wie man sie etwa von Martin Grubinger kennt. Die Schlagzeugvirtuosin stürzte sich in einem Stück von Alexej Gerassimez in ein Abenteuer, das allein die Snare Drum, die kleine Trommel, zu bestehen hat, verzauberte in einem Stück für Basspauke von Péter Eötvös mit einem Klangspektrum, das man so nicht für möglich hält, ließ Finger Cymbals in Dai Fujikuras »Chirping Bird« wie einen Vogel zwitschern.

Reicher Applaus belohnte all das im gut besuchten Kunstverein. Und für einen Rundgang durch die Ausstellung unter Führung der künstlerischen Leiterin Julia Berghoff war in der Pause auch Zeit. (GEA)