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Songs, die Mut machen: Wilhelmine kommt zu den Musiktagen nach Bad Urach

Zum ersten Mal setzen die Herbstlichen Musiktage auf ein Popkonzert. Wilhelmine soll jüngeres Publikum locken. Die Songwriterin aus Berlin mag die Natur. Da könnte Bad Urach passen.

Neues Genre, neue Zielgruppe: Wilhelmine kommt zu den Herbstlichen Musiktagen nach Bad Urach.
Neues Genre, neue Zielgruppe: Wilhelmine kommt zu den Herbstlichen Musiktagen nach Bad Urach. Foto: Shauna Summers
Neues Genre, neue Zielgruppe: Wilhelmine kommt zu den Herbstlichen Musiktagen nach Bad Urach.
Foto: Shauna Summers

BERLIN/BAD URACH. Der Altersschnitt beim Publikum der Herbstlichen Musiktage ist nicht gerade niedrig. Keine Überraschung bei einem Festival, das von der Klassik herkommt und sich zuletzt dem Jazz geöffnet hat. Um Jüngere zu locken, setzt man nun auf Pop. Und hat Wilhelmine für den 12. Oktober eingeladen, eine 34-jährige Singer-Songwriterin aus Berlin, die gerade dabei ist durchzustarten.

Mit Jahrgang 1990 ist Wilhelmine für ein Klassikfestival jung, für die Popszene eine Spätberufene. Erst mit 28 feierte sie ihren Durchbruch. Ihre Vita ist spannend: Aufgewachsen ist sie als Kind in der Berliner Hausbesetzer-Szene. Ehe die Familie ins Wendland im östlichen Niedersachsen zog – weil dort ein Hotspot der Antiatomkraftproteste war. Sie habe früh viele verschiedene Lebensrealitäten kennengelernt. Und auch, dass es ganz unterschiedliche Arten des Gelderwerbs gibt, erzählt sie im Telefongespräch mit dem GEA.

Straßenmusik als Einstieg

In Niedersachsen war sie aktive Jugendfußballspielerin, kickte zeitweilig für die niedersächsische Landesauswahl. Erfahrung als Sängerin sammelte sie als Straßenmusikerin in Berlin. Diese Schule ist für sie heute noch wichtig: »Das ist schon eine gute Prüfung: Wie kann ich Aufmerksamkeit erzeugen, wie spreche ich die Leute an. Wie kann ich Räume mit Spannung füllen.«

Dass sie bei den Herbstlichen Musiktagen das einzige Popkonzert bestreitet – und sogar das erste überhaupt in der 43-jährigen Musiktage-Historie – empfindet Wilhelmine als »besondere Ehre«. Ihr Vater höre viel klassische Musik, erzählt sie. Sie selbst liebe es, ab und zu in die Philharmonie in Berlin zu gehen.

Liebe zur Natur

Obwohl sie in der Großstadt wohnt, ist Wilhelmine Natur sehr wichtig. Sie habe ein Gartenhaus außerhalb der Stadt, in das sie sich immer wieder zurückziehe. Sie brauche die Stille dort als Ausgleich zu ihrem Alltag als Musikerin, der oft von großer Lautstärke geprägt sei. Es gibt Lieder von ihr, auf die sie im Wald kam; Naturbilder, sei es vom Wald oder dem Meer, ziehen sich durch viele ihrer Stücke.

Konzertinfo

Das Konzert von Wilhelmine beginnt am Samstag, 12. Oktober, um 19.30 Uhr in der Festhalle Bad Urach. Im Vorprogramm tritt die Sängerin Katya auf. Das Konzert ist der Abschluss der Herbstlichen Musiktage Bad Urach. Karten gibt es beim Kulturreferat Bad Urach, telefonisch (0 71 25 156 571) oder online auf der Website der Kulturtage. (GEA)

Bad Urach zwischen den bewaldeten Albhängen müsste ihr daher gefallen. »Ich bin noch nie dort gewesen«, bekennt sie. Man habe ihr aber gesagt, dass man dort gut wandern könne. Auf Tour nutze sie oft die Vormittage, um die Gegend zu erkunden, auch in Bad Urach hat sie das vor. Zumal sie möglicherweise schon am Vorabend ankommen wird. Eine kleine Tour könnte also schon drin sein. Womit sich auch für Wilhelmine die typisch Uracher Gewissensfrage stellt: Uracher Wasserfall oder Gütersteiner Wasserfälle? Vielleicht reicht’s ja für beides.

Mut zu sich selbst

Viele von Wilhelmines Liedern sind Mutmachliedern. Sie macht Mut, so zu sein, wie man ist. Auch sich selbst versuche sie, auf diese Weise Mut mitzugeben. Zu sich selbst zu stehen, das hieß für Wilhelmine auch, dazu zu stehen, lesbisch zu sein, Frauen zu lieben. Sie ist früh offen damit umgegangen, hat dafür manches in Kauf genommen. Etwa Irritationen im Fußballclub, wo Mannschaftskameradinnen plötzlich Hemmungen hatten, sich mit ihr in der Kabine umzuziehen.

Vom Kampf, dass ihre Art zu lieben als Normalität akzeptiert wird, handeln mehrere ihrer Lieder. Gebessert hat sich die Situation für die queere Community, der sie sich zugehörig fühlt, seither nicht. Ganz im Gegenteil. »Wenn man die Wahlergebnisse anschaut in letzter Zeit, dann kann man schon Angst bekommen.« Andererseits sei sie als weiße Einheimische ohne Migrationshintergrund auch wieder privilegiert.

Neuer Druck

So oder so hat Wilhelmine ein besonderes Gespür für die Verletzlichkeiten des Lebens. Auf ihrem aktuellen Album »Meere« spielen diese Verletzlichkeiten eine zentrale Rolle. Auch der Druck, dem man im Alltag ausgesetzt ist. Ein Druck, der auch bei ihr zugenommen hat. Als Straßenmusikerin war sie nur für sich selbst verantwortlich. »Jetzt habe ich ein Team von Leuten dabei, die von dem Geld, das sie auf der Tour verdienen, ihre Miete bezahlen müssen.«

Abstreifen könne sie diesen Druck am ehesten bei den Konzerten, wenn sie live auf der Bühne steht. Dass eine große Menge von Menschen gezielt wegen ihr und ihrer Musik in die Konzerte kommt, die Texte ihrer Lieder auswendig mitsingt, ist für sie immer noch ein großes Wunder. Es fühle sich an wie eine große Gemeinschaft, fast wie Familie. Hier sei es für sie leicht, sich zu öffnen, auch Persönliches preiszugeben. Bei Festivals sei das anders, da seien die Besucher manchmal wegen ganz anderer Bands da. Dort sei es damit unklar, wie die Leute reagierten, ob sie sich abholen lassen. Entsprechend stärker angespannt sei sie in diesen Situationen.

Erste Hallentournee

Unlängst hat sie ihre erste Deutschlandtournee durch größere Hallen hinter sich gebracht. Die Erlebnisse füllen sie immer noch mit Euphorie. Da war sie mit ihren Fans vereint, konnte Gemeinschaft mit ihnen erleben. Konnte Persönliches teilen, sich öffnen. Die Ideen für ihre Songs zwischen Mutmachen und Verletzlichkeit kommen ihr quer durch den Alltag. Sie schreibe immer mit, wenn ihr etwas einfalle, mal nur einige Sätze, mal drei Seiten am Stück. Mal tippe sie das ins Handy, mal schreibe sie auf Papier, mal in ihr Tagebuch. Im Studio werde das dann in Songs verarbeitet.

So klingen denn auch ihre Songs: Wie Zeilen aus ihrem Alltag, mitten aus dem Leben, mit wachem und sehr sensiblem Blick für die Probleme der Zeit. Eine sehr heutige, sehr gegenwärtige Liedkunst – genau deshalb hat Florian Prey sie geholt. Weil auch ihm das Heutige, Gegenwärtige wichtig ist, samt der Krisen von heute bis hin zum Klimaschutz. Die empfindsame, waldaffine Berlinerin und der sensible, naturverbundene Münchner, das passt schon prima zusammen. Florian Prey weiß schon, warum er zur Verjüngung seines Publikums gerade Wilhelmine geholt hat. (GEA)