Logo
Aktuell Oper

Sogkraft des Roulettes: Prokofjews »Der Spieler« an der Staatsoper Stuttgart

Nach den Salzburger Festspielen wagte sich nun auch die Oper Stuttgart an Prokofjews schwierig zu inszenierende Dostojewski-Adaption und verpflichtete dafür Regisseur Axel Ranisch. Nach seiner brillanten »Liebe zu drei Orangen« verfing er sich jetzt in Prokofjews Schlingen.

Fantasievolle Kostüme in surrealem Bühnenraum: Stine Marie Fischer und Goran Jurić in Prokofjews »Spieler«
Fantasievolle Kostüme in surrealem Bühnenraum: Stine Marie Fischer und Goran Jurić in Prokofjews »Spieler« Foto: Martin Sigmund
Fantasievolle Kostüme in surrealem Bühnenraum: Stine Marie Fischer und Goran Jurić in Prokofjews »Spieler«
Foto: Martin Sigmund

STUTTGART. Mit Mitte 20 vertonte Sergej Prokofjew Dostojewskis 1867 veröffentlichten Roman »Der Spieler«. Es ist ein genauso nihilistisches wie gesellschaftskritisches Epos. Führt im großbürgerlichen Ambiente eleganter Kurorte dieser Zeit vor, wie die unheilige Allianz von Geldgier und Spielsucht menschliche Regungen wie Liebe und Mitgefühl zerstört und schlussendlich Existenzen vernichtet.

Worum es geht? Um den spielsüchtigen Hauslehrer Alexej, der in Polina verliebt ist, die Stieftochter eines abgebrannten Ex-Generals. Dieser nun sendet aus der fiktiven deutschen Stadt »Roulettenburg« (gemeint ist Wiesbaden) alle paar Tage Depeschen nach Moskau mit der Frage, ob seine hinfällige reiche Großtante Babulenka endlich verstorben und er Erbe geworden sei. Auch, um die von ihm begehrte Halbweltdame Mademoiselle Blanche zu beeindrucken. Die es jedoch auf Baron Würmerhelm und dessen Geld abgesehen hat. Bis Babulenka persönlich auftritt, alles andere als sterbenskrank. Ganz Grand Dame lässt sie die Puppen tanzen und verspielt das potenzielle Erbe ihres Neffen, zum Ärger des alten Militärs und seines Gläubigers, einem Marquis, der ebenfalls ein Auge auf Polina geworfen hat. Während Alexej vollends dem Spielteufel verfällt.

Ans Milieu des 19. Jahrhunderts gebunden

Wie möchte man heute umsetzen, womit Dostojewski seinerzeit provozierte und was noch Jahrzehnte später in Prokofjews Klanggewand die sowjetische Zensur herausgefordert hat? Der in Stuttgart durch seine brillante Inszenierung der »Liebe zu drei Orangen« Prokofjew-erfahrene Axel Ranisch hat sich leider ähnlich wie Peter Sellars bei den letzten Salzburger Festspielen in den Schlingen dieses Stücks verfangen.

Aufführungsinfo

Die nächsten Aufführungen sind am 5., 20. und 23. Februar sowie am 10., 15., 19. und 30. März. (GEA)
https://www.staatsoper-stuttgart.de/spielplan/

Sellars versuchte, das Stück in unsere Zeit zu transferieren. Was nicht funktionieren kann, da zu viele Situationen an das Milieu der 1860er-Jahre gebunden sind. Alexejs Provokation einer preußischen Baronin etwa und der sich daran anschließende Disput mit dem General a.D., seinem Boss. Im Original und in der Oper zieht der junge Russe seinen Hut vor dem adligen Ehepaar und redet, ohne vorgestellt zu sein, anmaßend die Dame auf Französisch, den Baron auf Deutsch an. Heutzutage hat das nichts Provozierendes mehr. Damals schon, weswegen es sinnvoller gewesen wäre, die Handlung im ursprünglichen Zeitrahmen zu belassen.

So auch in Stuttgart im Hinblick auf Ranischs Versuch, in den fantasievollen Kostümen von Claudia Irro und Bettina Werner ins Utopisch-Surreale auszubrechen. Zumal Dostojewski im feudal-bourgeoisen Gewand der frühen Gründerzeit noch immer genügend Ansätze zu beißender Satire und Gesellschaftskritik an heutigen Oligarchen bieten würde.

Fulminanter Chorauftritt

Am überzeugendsten ist Ranisch dann, wenn er Prokofjews mitunter ätzende musikalische Ironie aufgreifen und andererseits die wenigen menschlichen Seiten der Protagonisten in den Mittelpunkt rücken kann. Den Figuren der Polina und Babulenka gewinnt er sympathische Züge ab. Stark wirkt auch die klug aufgebaute Szene im Spielcasino, wenn sich die immer hitzigere Menge auf den Punkt entfesselt durchchoreografiert zeigt. Was zugleich den Auftritt für Manuel Pujols tollen Staatsopernchor rahmt und mit dem Dirigat von Stuttgarts designiertem neuen GMD Nicholas Carter korrespondiert.

Carter steuert das Staatsorchester sauber, solide, rhythmisch straff, im Klangbild trocken und wo erforderlich scharfkantig durch die Partitur, was Prokofjews Ästhetik entspricht. Genauso, dass die wenigen Lyrismen, wie im Vorspiel zum 4. Akt, unverzärtelt klingen.

Vortreffliche Ensembleleistung

Gesungen wird auf hohem Niveau. Großartig: Véronique Gens, welche für die Generals-Großtante nicht nur das volumenreiche Stimmpotenzial, sondern auch die bezwingende Bühnenpräsenz hat. Aušrine Stundyte brauchte als Polina noch eine Anlaufstrecke, bis sie zu ihrem schon im Münchner Nationaltheater bewunderten Format gelangt, um im Schlussakt weiche Linien und zarte Piani zum Leuchten zu bringen, wie dies Stine Marie Fischer mit der Blanche von Anbeginn vermag.

Hingebungsvoll: Daniel Brenna in der Titelrolle.
Hingebungsvoll: Daniel Brenna in der Titelrolle. Foto: Martin Sigmund
Hingebungsvoll: Daniel Brenna in der Titelrolle.
Foto: Martin Sigmund

Die Herrenriege führt Tenor Daniel Brenna an, der in Stuttgart schon als Siegfried beeindruckte. Auch mit dem Alexej hat er eine Wagner-Dimension erreichende Partie, die er sich klug einteilt und mit großer Hingabe gestaltet. Elmar Gilbertsson bringt als Marquis das Durchtriebene zur Geltung, Goran Juric mit starkem Bass das Geckenhaft-Eitle des ausgedienten Generals. Dem Astley gewinnt Shigeo Ishino noble Züge ab, Robin Neck gibt markant den Fürsten Nilski und Peter Lobert kerrnig den Baron Würmerhelm. Mehrere der Genannten agieren in Doppelrollen, ergänzt durch Chorsolist/innen wie auch Mitglieder des Opernstudios. So zeigt sich das Stuttgarter Haus wieder als vortreffliches Ensembletheater. (GEA)