REUTLINGEN. Wer hätte das gedacht: Ausgerechnet Reutlingen, bisher nicht im Ruf des Glamourösen, verhilft der guten alten Samstagabendshow zu einer Auferstehung. Und das an einem Donnerstag. Was sich der Kooperation von Reutlingens Vorzeige-Rock-'n'-Roller Sam Budja von den Baseballs mit Reutlingens Vorzeigeorchester, der Württembergischen Philharmonie, verdankt. Zusammen holten sie das Publikum im fast ausverkauften Saal in eine Show-Welt von Glanz und Format, die man längst untergegangen glaubte.
Da ist ein Show-Orchester, größer und prächtiger, als man es je gesehen hat. Eines, das uns mit den genialen Arrangements von Jakob Brenner, der auch dirigiert, in den siebten Unterhaltungshimmel zaubert: blitzende Bläser-Breaks und schummriges Bar-Gefühl, zuckende Latin-Rhythmen und zarte Streicherschleier, Hollywood-Hymnik und Schmelz des Englischhorns. Veredelt durch ein Background-Trio und die Budja-Band mit Patrick Winter am Klavier, Till Kersting an der E-Gitarre (beide mit wunderbaren Soli!), Jörg Harsch an den Drums und Sophie Taubitz am Zupfbass.
Stimmsamt wie Sinatra
Da ist ein Showmaster Sam Budja, der nicht nur in Swingmelodik schwelgt wie einst Sinatra, der das Bariton-Dunkel samtweich strömen lässt, sich keck in die wildesten Rock-'n'-Roll-Kapriolen wirft und dann wieder ganz nachdenklich wird. Nein, dieser Sam Budja ist obendrein ein famoser Moderator, witzig, schlagfertig, einfühlsam. Einer, bei dem man sich hineingezogen fühlt in die Glitzerwelt des Showbiz – und doch gleichzeitig wie am heimischen Herdfeuer.
Und da sind all die illustren Gäste, die Budja in die Stadthalle gelotst hat. Der Schauspieler Mark Keller, bekannt aus der Serie »Der Bergdoktor«, entpuppt sich als beachtlicher Sänger im Duett mit Budja im Swing-Klassiker »Fly Me To The Moon«. Gibt mit allerlei Slapstick den Bühnenclown und muss gleich schon wieder zurück ans Set. Natürlich ist Basti dabei, alias Sebastian Rätzel, Sams verbliebener Partner von den Baseballs nach dem Ausstieg von Rüdiger Brans. Sie lassen die Hüften kreisen, dass die Hitze im Saal steigt, jagen den Rock'n'Roll-Sound in die Halle, alles steht, klatscht, hüpft.
In Lederhose und Jeanshemd
Kein anderer als Andreas Gabalier springt als nächster auf die Bühne, in kurzen Lederhosen, offenem Jeanshemd und weißem T-Shirt. Er zieht erst recht eine witzige Show ab, schäkert mit dem Publikum, scherzt mit Sam Budja; sie haben sich 2014 bei einem Volks-Rock-'n'-Roll-Fest kennengelernt, genauer: bei der hochprozentigen Aftershow-Party. Erstaunlich Gabaliers wolfsgeheulartige Tiefen; grandios sein Terzett mit Basti und Sam.
Auch Sams Neffe Marco Budja, einst in der Castingshow »The Voice Kids« erfolgreich, ist da und legt mit dem Onkel die innig ausgesungene Gospelballade »Thank You God For Your Blessings On Me« hin. Schließlich ist dem Showmaster noch aufgegangen, dass ein solches Spektakel unmöglich ohne einen Dieter Thomas Kuhn ablaufen kann. Allerdings reichlich spät: »Er hat mir vor zwei Tagen eine SMS geschickt«, grinst Kuhn. Egal, sie passen wunderbar zusammen in »You Are Always On My Mind«, der Reutlinger mit dem geschmeidigen Elvis-Organ und der Tübinger mit der etwas kantigeren Rock-Schlager-Stimme.
Neu sind die gefühlvollen eigenen Stücke Sam Budjas mit deutschen Texten, geschrieben mit dem Metzinger Produzenten Udo Rinklin. Zarte Pop-Balladen, die sich machtvoll steigern: »Tausend Worte«, »Falsche Farben«, »Immer und ewig«, »Ich lass mich frei«. Es geht um echte und falsche Liebe, um Selbstfindung und Selbstbefreiung.
Nachdenkliche Ruhezonen
Man merkt Budja an, dass er hier noch nicht ganz so zu Hause ist, mit seiner Stimme nicht so frei spielen kann wie im Rock 'n' Roll. Und doch klingt das schön, weich, glaubhaft. Er habe in einer schwierigen Zeit, als seine Mutter starb, gemerkt, dass er auch seine tieferen Gefühle artikulieren wolle, erzählt er. Im Showgetümmel bewähren sich die Stücke als nachdenkliche Ruhezonen.
Doch dann geht's wieder fröhlich ab und im Zugabenblock wirbeln fast alle Gäste mit. Die große Samstagabendshow, sie lebt wieder, sie braucht einen wie Sam Budja, und sie braucht einen Klangkörper wie die Philharmonie. Das ruft nach einer Fortsetzung, unbedingt. (GEA)