REUTLINGEN. Soll man sich als inklusive Theatergruppe ausgerechnet an einen Klassiker wagen? Am Berliner Theater RambaZamba hat man etwaige Bedenken einfach über Bord gekippt und sich Shakespeares »Sommernachtstraum« gekrallt. Beim Gastspiel am Sonntagabend in der Reutlinger Tonne im Rahmen des Festivals »Kultur vom Rande« zeigte sich: Das funktioniert! Denn jenseits kunstvoll geschmiedeter Verse bringt Shakespeare vor allem das Menschliche zum Vorschein. Und in der Version von RambaZamba ist halt einfach alles noch eine Prise menschlicher.
In der Regie von Matthias Mosbach und im Bühnenbild von Janina Brinkmann braucht es keine großen Kulissen. Der Ausruf »Ah, Athen!« genügt, um den ersten Schauplatz zu klären. Gedimmtes Licht, eine große, leuchtende Mondscheibe und reichlich Theaternebel für mystische Atmo im Zauberwald.
Man redet Tacheles
Auch die feinziselierte Wortakrobatik wird bis auf wenige Zitate entschlackt. Man redet heutiges (Straßen-)Deutsch und vor allem Tacheles. Wenn Helena so richtig gefrustet ist, ruft sie (Achtung Triggerwarnung vor explizitem Vokabular): »Ach fickt euch doch alle ins Knie, ich hab jetzt keinen Bock mehr!« Was will man auch sagen, wenn einen die Männerwelt erst ignoriert, dann aber zwei ihrer Exemplare hinter einem hersabbern wie liebestolle Hunde?
Das klingt wie fröhliches Chaos, und das ist es auch, dazu noch ein ziemlich witziges. Es wurde viel gelacht im voll besetzten Tonne-Saal. Aber dahinter steckt Grips. Shakespeare, so die Idee, lässt Liebespaare und schauspielernde Handwerker im Feenwald aufschlagen – und beleuchtet so das Menschelnde am Menschen. Hier ist es nun eine diverse Truppe, die im Zauberwald aufschlägt. Und in ihrer Diversheit kommt das Bunt-Burleske der Menschheit, durch Feenaugen betrachtet, noch plastischer heraus. Am Ende ist es dann egal, ob hier jemand das Downsyndrom hat, im Rollstuhl sitzt oder nicht – die Erkenntnis ist: Jeder hat seine Macken. Die Bewohner des Feenreichs einschließlich ihrer Herrscher im Übrigen auch.
Mit Outdoor-Ratgeber im Wald
Und herrlich, wie sie das alles spielen! Julian Jäckel als ständig überforderter Schauspiel-Chef (»Ich kann nicht mehr! Ich bin am Ende!«). Anil Merickan als liebeshungriger Lysander, der im Wald erst mal den Outdoor-Ratgeber zückt (»Für die Übernachtung eignet sich eine Kuhle ...«). Joachim Neumann als Elfenkönig Oberon in Rachemission an seiner untreuen Gattin. Grit Burmeister als selbige, nämlich Titania, die weiß, was sie will. Juliana Götze als verliebte Hermia, die sich zornig die Perücke vom Haupt reißt. Rebecca Sickmüller als Helena, die schon bald die Faxen dicke hat. Kaan Aydemir als Demetrius, der erst ständig das Messer zückt – und später sozialpädagogisch zum klärenden Dialog aufruft: »Wir brauchen jetzt einen Redestock!«
Puck singt Beatles
Vor allem aber hängt alles am schabernacksüchtigen Kobold Puck. Der wird mit ansteckendem Spaß am Unsinn verkörpert von Friedrich-Ferdinand Dambeck, teils mit Rollstuhl, teils ohne. Wenn er zu seinen Liebeszauber-Hexereien locker den Beatles-Song »All My Loving« säuselt, ist das reine Magie. Später, wenn die Sache im Feenwald ins Chaos entgleist, mutiert das Zirpen der Akustikgitarre zum psychedelischen E-Gitarren-Gewitter.
So gelingt es den RambaZamba-Leuten, Shakespeares Höhenflüge auf den Boden der Tatsachen zu holen. So wie bei Shakespeare die ätherischen Feenwesen sich mit der menschlichen Unvollkommenheit konfrontiert sehen. Und merken: So anders sind wir gar nicht. Sondern alle miteinander wunderbar divers. Und das ist gut so. (GEA)