NANTES. Als Erstes fällt ihre Stimme auf. Tief und klar ist sie. Im Leben von Zaho Mélusine Le Moniès de Sagazan, so der volle Name der Künstlerin, ist momentan jede Menge los. Die 24-jährige Sängerin und Songschreiberin hat ihr erstes Album nun um sieben neue Titel erweitert. Seitdem kennt ihre Karriere kein Halten mehr.GEA: In Frankreich sind Sie bereits ein Star, in Europa starten Sie gerade durch. Haben Sie die vergangenen eineinhalb Jahre schon einordnen können?
Zaho de Sagazan: Ich habe es versucht, aber mich überwältigt das alles noch zu sehr. In meinem Kopf geht es gerade sehr turbulent zu. Ich kann nur sagen, es war ein wunderschönes Jahr, und wenn ich nicht fest daran glauben würde, dass nächstes Jahr bestimmt genauso toll wird, würde ich mir wünschen, dass dieses Jahr nie vorbeigeht.
Ist es für Sie ein Unterschied, ob Sie in Frankreich auftreten oder in einem Land, in dem nicht alle Menschen Ihre Sprache verstehen?
De Sagazan: Ich hatte Deutsch sieben Jahre lang in der Schule. Ich liebe eure Sprache und auch euer Land. Ganz besonders zu Hause fühle ich mich in Berlin. Dort bin ich vor einiger Zeit mit ein paar Freundinnen gewesen. Eine Woche lang haben wir uns einfach durch die Stadt treiben lassen, die Parks, ein paar Clubs, ich glaube, wir waren überall.
Sie sollen ein großer Fan der Band Kraftwerk sein. Wie kam das?
De Sagazan: Meine Zwillingsschwester hat mir Kraftwerk nähergebracht. Sie spielte mir eines Tages »Das Model« vor. Ich finde das Stück einfach großartig. Zu der Zeit entdeckte ich auch meine Liebe zur elektronischen Musik aus Frankreich. Ich lernte, dass man unendlich viel Gefühl aus einem Synthesizer herausholen kann. Seither sammele ich selbst, schaffe ich mir ständig neue Instrumente an. Jedes klingt anders. Ich wurde jedenfalls ein Riesenfan von Kraftwerk, und als sie nach Frankreich kamen, war ich natürlich am Start. Das Konzert war einer der besten Momente meines Lebens.
Welchen Einfluss haben Kraftwerk auf Ihre Musik?
De Sagazan: Immer, wenn wir, also meine zwei Musikerkumpels und ich, im Studio nicht weiterwissen, dann hören wir Kraftwerk. Ich liebe diese Mischung aus Moderne und Minimalismus. Es überrascht mich immer ein wenig, dass ich in Frankreich als Chansonsängerin angesehen werde. Sicher, die Worte sind mir sehr wichtig, und anfangs hatte ich Angst, dass meiner Musik etwas abhandenkommt, wenn die Leute im Konzert sie nicht verstehen. Aber ich lernte schnell, dass sie meine Lieder trotzdem lieben. Sie müssen nicht die Worte verstehen, und dennoch verstehen sie die Gefühle – auch dank der vielen kuriosen elektronischen Details.
Sind Freiheit und Freude für Sie wichtig?
De Sagazan: Aber ja, natürlich. Die Freiheit steht für mich über allem. Angefangen bei der Freiheit, wen man liebt. Ich selbst sehe für mich keinen Sinn darin, mich beispielsweise für ein Geschlecht zu entscheiden. Ich finde Männer reizvoll, Frauen aber auch. Alles ist möglich. Ganz zentral ist für mich die Freiheit des Geistes, wie ich sie in der Kunst erfahren kann. Jemand wie David Bowie ist ein Beispiel für einen freien Künstler, der sich nie in eine Schublade hat stecken lassen. Was den Spaß angeht, so finde ich ihn vor allem in meinen Konzerten. Ich will, dass die Menschen meine Show mit einem Lächeln verlassen. Und mit dem Glauben, dass es eine gute und freie Welt geben kann.
Sind Sie ein fröhlicher Mensch?
De Sagazan: Ich bin eine sehr melancholische Person. Häufig fühle ich mich traurig. Wenn ich mich beschreiben sollte, dann am passendsten als das Mädchen im Animationsfilm »Alles steht Kopf«. Meine Welt ist eine Welt, in der alles zur gleichen Zeit passiert – Freude, Traurigkeit, Tanz und Melancholie.
Ihr Song handelt davon, dass Sie die Traurigkeit verjagen wollen.
De Sagazan: Das stimmt, ich singe »Fick dich, Traurigkeit«. Denn nicht immer überwältigt sie mich in den geeigneten Momenten. Ich sage in dem Lied ja auch, dass ich alles kontrollieren kann, nur meine Traurigkeit nicht. Ich finde es zudem so wichtig, dass wir heute offen über unsere Traurigkeit sprechen können. Und dass es sich nicht ausschließt, tieftraurig zu sein und doch zu tanzen. Ich schrieb diesen Song an einem einzigen Nachmittag. Er kam über mich wie in Hypnose. Ich wollte darüber sprechen, wie ich versuche, meine Gefühle zu kontrollieren. Dabei weiß ich gar nicht, ob das überhaupt gut ist. Tränen finden immer einen Weg. So habe ich das Klavierspiel entdeckt – es war für mich das Werkzeug, meine Emotionen rauszulassen. Ich entdeckte, dass es nichts Schlechtes ist, traurig zu sein.
Ist Songschreiben eine Therapie für Sie?
De Sagazan: Ja, ganz klar ja. Es ist Therapie für mich. Ich wollte ursprünglich Psychologie studieren und später mit Menschen arbeiten, mir ihre Geschichten anhören. Wenn ich mit meinen Freunden spreche, dann immer über Gefühle. Und indem ich versuche, andere Menschen zu verstehen, versuche ich auch, mich selbst zu verstehen. Die große Kraft der Musik besteht für mich darin, die Leuten wissen zu lassen, dass ich für sie da bin.
Haben Sie diese Kraft als Kind schon gespürt?
De Sagazan: Nein, ich fing erst mit dreizehn an, Klavier zu spielen. Ich war eine sehr sensible Jugendliche. Ich weinte viel.
Waren Sie ein unglückliches Kind?
De Sagazan: Nein, überhaupt nicht. Ich liebte meine Kindheit. Ich habe wunderbare Eltern und wunderbare Geschwister. Wir wuchsen in Saint-Nazaire auf, direkt am Ozean. Die Stadt selbst ist nicht so hübsch wie andere Orte in der Bretagne, eine Industriestadt, im Krieg ist sie total kaputtgebombt worden. Doch auch dort spürst du die Poesie des Meeres. Ich habe als Kind alle Möglichkeiten gehabt. Wir konnten uns ausprobieren.
Also hat es Sie nicht belastet, viel zu weinen?
De Sagazan: Doch. Die Jugend war nicht leicht für mich. Die Energie des Weinens zog mich runter. Dann, ich glaube, ich war vierzehn, entdeckte ich den englischen Sänger Tom Odell. Ich sah Tom und spürte, dass auch er diese Energie besitzt, ihn aber die Traurigkeit nicht runterzog. Ich spielte seine Lieder am Klavier nach und war ein bisschen besessen von ihm. Später entdeckte ich Jacques Brel, Barbara und andere, und machte die Erfahrung, wie Musik in wenigen Minuten alles verändern kann. Wie es die Seele aufhellt. Mit Musik kannst du in eine andere Welt fliegen.
Ist Ihre Sensibilität eine Superkraft?
De Sagazan: Mittlerweile ja. Sensibilität ist der Sturm im Herzen. Er muss irgendwann raus, sonst reißt er dich weg. Manche besänftigen ihn mit Sport. Mir gelingt es mit Musik, mit Weinen und mit positiver Wut. Sensibel zu sein, ermöglicht dir, die Welt zu verstehen. Sie bringt Klarheit. Wenn du sensibel bist, dann weißt du, du bist am Leben. Wenn du aber weder Freude noch Schmerz empfindest, wenn du gar nichts mehr fühlst, dann bist du krank. Dann hast du Depressionen und brauchst Hilfe. (GEA)
Live: 11. März Muffathalle München