TÜBINGEN. »Respekt - das ist das Versprechen einer liberalen Demokratie«, sagt Carolin Emcke. Die Autorin, Publizistin und Moderatorin, die 2016 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde, ist wieder einmal für eine Lesung in Tübingen. In ihren Veröffentlichungen seziert die 58-Jährige soziale und politische Konflikte, fordert zum Widerspruch gegen Ausgrenzung und mangelnde Empathie auf. Und wenn sie fragt, wer wir in Zeiten des Angriffs auf Demokratie und Wahrheit, auf die Menschenwürde sein wollen, kristallisiert sich klar die Antwort heraus: kritische Geister, mitfühlende Wesen; Menschen, die das Verschiedensein akzeptieren, die bereit sind, ihr Denken beständig zu korrigieren, indem sie sich auf andere Perspektiven einlassen.
Der Museumssaal ist voll bei der Veranstaltung der Buchhandlung Osiander in Kooperation mit dem Deutsch-Amerikanischen Institut (d.a.i.) Tübingen. Im Gespräch mit Katharina Luther, Direktorin des d.a.i., kommt Emcke auf Israel, auf Gaza zu sprechen. Darauf, dass »Humanismus kein Nullsummenspiel ist«, dass das Leid des einen nicht gegen das des anderen aufgewogen werden kann. Bei aller Freude am Tag der Waffenruhe und der Geiselfreilassung ist es ihr wichtig, auch an die zu denken, die nicht überlebt haben.
Was Angela Merkel gemeint haben könnte
Als Reporterin ist Emcke weltweit in Krisenregionen unterwegs gewesen, hat Menschen eine Stimme gegeben, die sonst nicht gehört werden. Im September ist im S. Fischer Verlag ihr Buch »Respekt ist zumutbar. Texte zu unserer Gegenwart« erschienen, ein Band, der Kolumnen und Reden Carolin Emckes aus den letzten zehn Jahren versammelt. Oftmals ausgehend von einem Zitat, persönliche Anekdoten und Intertextualität einstreuend, war es ihr bei ihren Kolumnen ein Anliegen, in Betrachtung der Wirklichkeit einen Schritt zurückzutreten, den Gegenstand, um den es geht, etwas wegzuziehen aus der Aktualität, zu fragen, »worum geht es da eigentlich?«, um auf dieser Basis die Aktualität zu reflektieren. Etwa den Satz »Wir schaffen das«. Emcke schrieb im Oktober 2015, dass Angela Merkel mit dem Satz vielleicht habe ausdrücken wollen: »Wir lernen das. Wie wir Lesen und Schwimmen gelernt haben.«
Soziale und politische Ereignisse in sich »hineinzunehmen, eine gewisse Durchlässigkeit zu zeigen«, ist für Emcke »ein Gegenentwurf zu diesem abstrakten Marketing-Sprechen, zu dem, was sonst sehr häufig an Blasen im politischen Diskurs daherkommt«. Sie räumte ein, dass es das »manchmal auch für mich selber emotional anstrengender macht«.
Einfühlung ermöglichen
Selbst wenn ihr Schreiben um Hass und Gewaltphänomene kreist, ist es der in Mülheim an der Ruhr geborenen Publizistin wichtig, »in der Sprache das Gegenteil, etwas Zartes, etwas Präzises aufzurufen«. Auch gehe es für sie darum, in einer Sprache zu schreiben, die das menschliche Individuum, nicht das Kollektiv, erkennbar sein lässt, »in einer Weise, die Einfühlung erlaubt und nicht eine Abwehr hervorruft«. (GEA)

