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Schrill und doppelbödig: Landestheater Tübingen zeigt »Kampf der Reality Shows«

Der »Kampf der Reality Shows« ist vielschichtiger, als man das von TV-Formaten kennt. Am Landestheater Tübingen ist die Stückentwicklung jetzt uraufgeführt worden.

Das Trio Sophie Aouami (von links), Anna Golde und Michael Mayer erkundet auf der Bühne Reality-Show-Formate.
Das Trio Sophie Aouami (von links), Anna Golde und Michael Mayer erkundet auf der Bühne Reality-Show-Formate. Foto: Martin Sigmund
Das Trio Sophie Aouami (von links), Anna Golde und Michael Mayer erkundet auf der Bühne Reality-Show-Formate.
Foto: Martin Sigmund

TÜBINGEN. Drama ist nötig - für die Quote. Das wissen A, B und C, als sie in der Villa, die Schauplatz eines Reality-Formats ist, ankommen. Also wird erst mal konfliktreich geklärt (und später überdacht), wer sich mit wem das Zimmer teilt.

Es ist nicht ein bekanntes Fernsehformat, das hier Pate steht; es sind viele. Daher wohl auch der Titel des neuen Stücks des Jungen LTT, »Kampf der Reality Shows«. Die Regisseurin Hannah Frauenrath hat es zusammen mit dem Ensemble entwickelt. In die Rollen von A, B und C schlüpfen auf der Bühne Anna Golde, Sophie Aouami und Michael Mayer - und finden sich in Situationen wieder, wie man sie aus »Big Brother«, »Der Bachelor«, »Germany's Next Topmodel« oder »Sommerhaus der Normalos« kennt.

Motivation: Gesehen werden

Die Szenen rauschen collageartig vorbei, wobei das Publikum im Theatersaal - die Uraufführung war am Mittwoch in der LTT-Werkstatt - schon früh informiert ist, dass es beim Voting die Macht hat. Die auf Zuschauerinnen und Zuschauer ab 14 Jahren zielende Persiflage geht der Frage nach, was an Reality-Shows echt ist und warum sich, abgesehen vom Preisgeld, Menschen als Teilnehmerinnen und Teilnehmer bewerben. »Kampf der Reality Shows« stellt diejenigen in den Mittelpunkt, die gesehen werden wollen.

»Das ist echt intense«, stellen A und B fest. C offenbart den Zuschauerinnen und Zuschauern, dass er gesehen werden muss. »Damit ich weiß, dass ich noch da bin.« Wenn andere ihn nicht sehen würden, müsse er sich selbst beobachten. Oder sich vorstellen, dass andere ihn beobachten. Die Horrorvorstellung für ein Reality-Sternchen ist es, herausgeschnitten zu werden; in den ersten Folgen einer Staffel schlichtweg nicht vorzukommen. Dann lieber um jeden Preis auffallen.

Besser ein dickes Fell

Ein Tutorial mitten im Stück zeigt, wie das geht: Man muss polarisieren; zu jeder Zeit bereit für einen melodramatischen Auftritt sein; sich mit einem »Signature Move« oder einem wiederkehrenden Satz in Erinnerung bringen. »Sei du selbst - aber bitte in Content-Qualität«, lautet einer der Ratschläge. Auch sollte man sich ein dickes Fell zulegen. In der Villa oder im Container eine Freundin zu haben, sei okay; allerdings müsse man wissen, »wann man sie opfern muss«.

So wechselt das Bühnenstück, in dem Sophie Aouami eine starke Gesangsperformance hinlegt, aberwitzig zwischen ernsten Momenten und purem Zynismus. Erhellend ist das in jedem Fall. Die Spielfreude des Ensembles ist phänomenal. Vor allem dann, wenn es das Publikum mit seinen Kapriolen aufs Glatteis führt.

Live performte Werbung

Bühne und Kostüme, die sich Hanga Balla und Polly Stephan ausgedacht haben, machen Laune. Die von Konstantin Sieghart zusammengestellte Musik öffnet emotional Räume und ist zudem für die Trailer und Werbefilmchen gut, die das Ensemble live auf der Bühne performt.

Die Zuschauerinnen und Zuschauer (»Ihr habt eingeschaltet, um abzuschalten«) zücken nach einer Aufforderung die Smartphones und stimmen über einen QR-Code ab, wem der dreien sie am wenigsten trauen, wer ihrer Ansicht nach nicht zeigt, wer er oder sie wirklich ist, und wen man - wenn man es müsste - rausschmeißen würde. Fast wie in einer richtigen Reality-Show. Aber doch viel doppelbödiger. (GEA)