Logo
Aktuell Ausstellung

Schatztruhe einer großen Träumerin

Das Museum Ludwig widmet der Künstlerin Ursula Schultze-Bluhm die erste Werkschau seit 30 Jahren

Plastik der Künstlerin Ursula im Museum Ludwig in Köln.  FOTO: MORAWITZKY
Plastik der Künstlerin Ursula im Museum Ludwig in Köln. FOTO: MORAWITZKY
Plastik der Künstlerin Ursula im Museum Ludwig in Köln. FOTO: MORAWITZKY

KÖLN. Es ist die Reise in eine Welt der Fantasie, des verspielten, fantastischen, immerzu ins Unwirkliche, manchmal Monströse spielenden Ausdrucks. Ursula Schultze-Bluhm gehört zu den großen deutschen Künstlerinnen der Nachkriegszeit; sie ist zudem das seltene Beispiel einer Künstlerin, die konsequent, aber nicht dogmatisch an den Strategien des Surrealismus festhielt, sich so eine ganz eigene Welt schuf, ungeheuer produktiv, voller Farbe, märchenhaft und trotzig. Eine Welt, in der Mensch und Natur, Mythologie, Flora, Fauna, Traum und Wirklichkeit eins werden, in der Identität sich behauptet und verliert. »Ursula – das bin ich. Na und?« – so heißt eine Schau, die bis zum 23. Juli im Kölner Museum Ludwig zu sehen ist, ja diese Räume rauschhaft füllt.

Ursula Bluhm wurde 1921 im brandenburgischen Mittenwalde geboren. Sie begann als Jugendliche zu schreiben, arbeitete später für die Kulturabteilungen der Amerika-Häuser in Hessen und Berlin, zog 1950 nach Frankfurt am Main und wandte sich der Malerei zu. Jean Dubuffet, Begründer der Art brut, antiintellektuell, inspiriert von der Kunst der Kinder, der Laien, der Außenseiter, der psychisch Erkrankten, entdeckte sie; fortan stellte sie regelmäßig in Paris aus, nahm den Künstlernamen Ursula an. Ihre erste Einzelausstellung fand 1954 in Frankfurt statt; 1955 heiratete sie Bernhard Schultze, einen Maler des Informel, 1977 war sie an der Documenta 6 beteiligt.

Im besten Sinne unverschämt

Dem Miteinander dieses Künstlerpaares widmet die Kölner Ausstellung eine kleine, aber eindrucksvolle Abteilung. Dort sieht man Ursula und Bernhard Schultze auf Fotografien, in Gesellschaft, in den Räumen, die sie gemeinsam, aber in strikter Trennung als Atelier nutzten, sieht ein Künstlerbuch, das sie schufen, wird Zeuge einer erstaunlichen Zuneigung, die starke Gegensätze überspannte: Hier der akademisch gebildete, abstrakte Maler, ganz verwurzelt im Kunstbetrieb seiner Zeit; dort die tatsächliche Außenseiterin, Autodidaktin, die auf ihrer fantastisch gegenständlichen Arbeitsweise beharrt, sich gegen die Zeitströmung stellt. Und doch bewunderten sich diese beiden in ihrer Arbeit, unterstützten und beschenkten sich gegenseitig – sie, die ihn »Bär«, er, der sie »Spinne« nannte, waren ein Paar, bis zu Ursulas Tod 1999.

Freilich lassen sich Parallelen finden im Werk dieses Künstlerpaares, vor allem im Farbenreichtum, der sowohl die Arbeiten von Ursula und Bernhard Schultze bestimmt. Größer aber sind die Unterschiede, ist das Bestehen auf eine Figuration, die gerne die Grenze zum Fantastischen überschreitet, die ihr Werk bestimmt, der freie Umgang mit vorgefundenen Materialien auch, der feine Duktus ihrer Malerei, die sich oft aus feinen Strichen, farbigen Schraffuren aufbaut: Ein Fiebertraum, kindlich und zugleich souverän, voll von changierenden Figuren, von Gesichtern, Fratzen, Tier- und Menschwesen, von Mythologie, Aufbegehren, Erotik, gänzlich polymorph und im besten Sinne eine Unverschämtheit.

»Ursulas künstlerische Produktion«, so die Kunsthistorikerin Chus Martínez im Katalog zur Ausstellung, »wurde nicht dem Strom der westlichen Entwicklungsgeschichte zugerechnet; sie galt als ein See, als ein von Wiesen umsäumter Wasserkörper« – als etwas ganz Fremdes also, auf fast bedrohliche Weise Andersartiges, Subversives, keinesfalls bereit, sich der Begrifflichkeit der abendländischen Kunst unterzuordnen.

24 Jahre nach dem Tod der Künstlerin, in einer Zeit, die die Voraussetzungen einer solchen Kanonisierung gründlicher hinterfragt, erscheint Ursulas Werk als ein Vorbild kommender Entgrenzungen. Auch das Verhältnis von Mensch und Natur wird längst schon neu gedacht; dass der Mensch die Krone der Schöpfung sei, scheint vielen zweifelhaft. In Ursulas Bildern sind Mensch und Natur vereint, verwandeln sich ineinander. Dort gehen Gefiederte umher, lösen sich Gesichter auf im Duktus von tausend kleinen Pinselstrichen, in einem Meer pulsierender Farben. Alles ist im Wandel und alles strahlt in tanzender Schönheit, selbst die dunkelsten Nacht-Mahre.

Fülle des Lebendig-Blühenden

Ursula erschuf sich ihre eigene Welt, ganz im Sinne einer individuellen Mythologie. In ihrem Werk findet man ein hartnäckiges Festhalten an einer Kindheit, in der alles noch ungeschieden ist; sie gönnt es sich, schlicht, naiv, außerhalb von Perspektive und Proportion zu malen, setzt all dies jedoch mit frappantem Können in Szene. Jedes ihrer Bilder ist eine Revolte.

Und seit den späten 1950er-Jahren schon bleibt ihr verträumtes Aufbegehren keine Sache nur der Bilder mehr. Ursula begann, Assemblagen zu schaffen, bemalte Paravents mit ihren Traumgestalten, füllte Schmuckschatullen (»Büchse der Pandora«) mit Vogeleiern, Federn, Schnullern, menschlichen, tierischen, pflanzlichen Dingen.

Ein Gipfel: Das »Ursula-Pelz-Haus«, in Köln zu sehen. Bilder zeigen die Künstlerin, wie sie versunken lesend sitzt in dieser unwirklichen Laube, um die her Pelze schwärmen, Federn, Tierpräparate und viele, viele Köpfe, von Schaufensterpuppen, bunt bemalt, geschmückt.

Als Kind, sagt Ursula in einem Interview, habe sie sich gewünscht, im Innern einer Schachtel zu leben: Ein endloser Innenraum vielleicht, den sie mit ihrer Kunst nach außen kehrt. Die Büchse der mythologischen Pandora enthielt nicht nur die Übel der Welt, sondern auch ihre Hoffnung. »Was sind meine Bilder und Gebilde?«, sagt Ursula. »Eine Utopie – gegenüber einer kommenden Welt, ein Therapeuticum gegen eine negative Weltschau. Öffnen wir meine Büchse der Pandora, die statt des Unglücks die Fülle des Lebendig-Blühenden ausstreut.« (GEA )

AUSSTELLUNGSINFO

Die Ausstellung »Ursula – das bin ich. Na und?« ist bis zum 23. Juli im Museum Ludwig, Heinrich-Böll-Platz in Köln, zu sehen. Geöffnet ist Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr. (GEA) www.museum-ludwig.de