REUTLINGEN. Die Exponate mit dem persönlichsten Bezug – eine 28-teilige Werkserie mit dem Titel »Laser Therapy« – sind in Gerrit Frohne-Brinkmanns Ausstellung im Reutlinger Kunstverein die unauffälligsten. Bläulich monochrom wirken die Bilder, die sich durch die Kabinette ziehen. Bei näherer Betrachtung geben sie Einblick in eine private Wohnung. Ein Treppenaufgang, ein Dielenboden, eine gekachelte Küche, eine Sofalehne werden sichtbar, präzise und kontrolliert mittels eines Lasers ins Papier eingebrannt.
Der in Hamburg lebende Künstler Gerrit Frohne-Brinkmann hat die Ausstellung mit »In the unlikely event of fire« betitelt und beleuchtet darin die Wechselbeziehung von Vernichtung und Erschaffung, von Kontrolle und Machtverlust durch Feuer in der Menschheitsgeschichte. Dass Feuer ein Haus vorübergehend unbewohnbar machen kann, hat der Künstler im vergangenen Jahr in Hamburg selbst erlebt.
Zwar brannte es nicht bei ihm in der Wohnung, doch die Schäden, die ein Feuer im Haus hinterließ, wirkten sich auch auf seine Wohnsituation aus. Die Brandursache blieb bis heute ungeklärt. Seine Werkreihe »Laser Therapy« schuf er nach Motiven aus der Schadensdokumentation für die Versicherung – mit Mitteln des Feuers, sprich dem Einbrennen via Laser. Die 28 Innenansichten erstrecken sich fast über die gesamte Ausstellungsfläche, die Hängung in Reutlingen ist am Grundriss der Hamburger Wohnung orientiert.

Brandgeschützte Bücher
Bereits 2018 schuf Gerrit Frohne-Brinkmann, der 1990 im niedersächsischen Friesoythe geboren ist und an der Hamburger Hochschule für bildende Künste studiert hat, das Diorama »Cave Art Comeback II«, das eine Renaissance der Höhlenkunst im Hier und Heute simuliert. Ein Junge und eine nicht mehr ganz junge Frau machen sich, absolut lebensecht wirkend, mit Feuerzeugen an den Wänden zu schaffen und erinnern an frühmenschliche Malereien, die mit Ruß oder Asche an die Felswand gebracht wurden. Gleichzeitig verweist die Situation auf das kindliche Zündeln. Frohne-Brinkmann hat zur Vorbereitung auf die von der künstlerischen Leiterin des Kunstvereins Reutlingen, Imke Kannegießer, kuratierte Ausstellung das Reutlinger Feuerwehrmuseum besucht. Er lässt Leihgaben von dort einfließen und kontextualisiert sie neu. Eine Rauminstallation gibt historischen Stücken wie einem Schlauch, einem Schöpfeimer, einem Signalhorn oder auch Handlampen »eine Bühne«, wie Frohne-Brinkmann das nennt. Man sieht sie an drei raumhohen, messingglänzenden Feuerwehrstangen gewissermaßen herunterrutschen. Der Ernst der Lage im Alarmierungsfall und das kindlich anmutende An-der-Stange-Herunterrutschen gingen ihm durch den Kopf, als er die Installation konzipierte.
So aktuell, das Feuer im Flüchtlingslager Moria zu thematisieren, ist die Ausstellung nicht. Dafür greift Gerrit Frohne-Brinkmann die Debatte um J.K. Rowling auf. Nach einer Äußerung als transphob gescholten, wurden in diesem Sommer Stimmen laut, Bücher der »Harry Potter«-Autorin zu verbrennen. Ein Aufruf, der düstere Erinnerungen etwa an die Bücherverbrennung durch die Nationalsozialisten weckt. Frohne-Brinkmann schützt vorsorglich das Kulturgut Buch, indem er Dutzende »Harry Potter«-Bände durch das Besprühen mit einer Brandschutzimprägnierung schwer entflammbar macht. Unschöner Nebeneffekt: Die Bücher quellen auf, ihre Lesbarkeit wird stark eingeschränkt durch einen kristallinen Film, der sich bildet. »B1 Books« nennt der Künstler diese Arbeit. Das spielt an auf die Brandschutzimprägnierung nach der Brandschutzklasse B1. Neu ist auch die raumfüllende Installation mit dem Titel »May you live in interesting times«, die aus einer Vielzahl von anmutig flackernden Himmelslaternen besteht. Objekte, die spätestens nach dem verheerenden Brand im Krefelder Affenhaus ihre Unschuld verloren haben.
Die Keramiken »Cooking up bigger brains« zeigen haufenweise sich schlängelndes Grillgut auf Picknickdecken. Man darf sich auch an die anatomischen Windungen eines Gehirns erinnert fühlen. Der Titel hebt ab auf eine verbreitete Theorie, wonach sich die Gehirnmasse des Homo erectus vergrößerte, als dieser begann, gegartes Fleisch zu verspeisen. Evolutionsgeschichte und Alltagskultur des Grillen, sie gehen hier eine Verbindung ein. Was der hohe Fleischkonsum heute mit uns Menschen macht, mag jeder selbst für sich beantworten. (GEA)
AUSSTELLUNGSINFO
Die Ausstellung »Gerrit Frohne-Brinkmann – In the unlikely event of fire« ist im Kunstverein Reutlingen, Wandel-Hallen, Eberhardstraße 14, bis zum 15. November zu sehen. Geöffnet ist Mittwoch bis Freitag von 14 bis 18 Uhr, Samstag und Sonntag von 11 bis 17 Uhr. Am 7. Oktober um 18 Uhr lädt Imke Kannegießer zur Kuratorinnenführung. Eine Anmeldung ist erforderlich. (GEA)