BERLIN. Gerade war Saoirse Ronan (30) noch im Kriegsdrama »Blitz« zu sehen, schon kommt ihr nächster Film ins Kino. In »The Outrun« spielt die US-Schauspielerin, die in Irland aufwuchs, die Alkoholikerin Rona, die sich nach dem Entzug in einer Reha-Klinik auf die schottischen Orkney-Inseln zurückzieht. Hier wurde Rona geboren, hier sucht sie Frieden, wird aber mit der Vergangenheit konfrontiert. Inszeniert wurde das Drama von der deutschen Regisseurin Nora Fingscheidt (»Systemsprenger«), zu der Ronan ein besonderes Verhältnis aufgebaut hat.
GEA: In »The Outrun« ziehen Sie sich in die raue Natur zurück, auf den Orkney-Inseln, wo es das ganze Jahr über kalt und stürmisch sein kann. Wie sehr liegt Ihnen die Natur nun wirklich?
Saoirse Ronan: Oh, ich hatte eine tolle Zeit. Es war nicht schwierig für mich, ich fand es wunderbar. In der Natur fühle ich mich sowieso am wohlsten. Ich bin in einem sehr ländlichen Teil Irlands aufgewachsen. Noch bevor Kaltwasserschwimmen cool war, habe ich das schon als Kind gemacht.
Ihnen macht es wirklich nichts aus, in kaltes Wasser einzutauchen?
Ronan: Nein, ich habe im Fluss direkt neben unserem Haus schwimmen gelernt. Ich bin auch mit Tieren aufgewachsen. Für mich ist das Land ein viel glücklicherer Ort als die Stadt. Okay, ich lebe jetzt die Hälfte meiner Zeit in Städten, aber glücklich fühle ich mich dort nie. Umso perfekter ist es, wenn ich, wie in diesem Fall, eine Rolle spielen kann, bei der ich es nur mit wenigen Menschen zu tun habe und einfach mal mit Robben schwimmen kann.
Im Film helfen Sie auch, ein Lamm auf die Welt zu bringen …
Ronan: Ja, das habe ich alles gemacht. Die Geburt wurde mitgefilmt und ich habe das alles auf meinem Smartphone. Interessant war für mich, dass ich zuvor in Australien einen postapokalyptischen Film gedreht hatte. Da ging es um Zerstörung und Tod, und in den Feuchtgebieten außerhalb von Melbourne, wo wir »Enemy« drehten, war es sehr kahl, trocken und leblos. Und plötzlich war ich in Orkney und erlebte, wie neues Leben geboren wird.
Wer hatte Sie fachlich beraten?
Ronan: Kyle, ein 23-jähriger Landwirt, sagte mir: »Du musst das Mutterschaf greifen und zu Boden reißen, wenn die Fruchtblase geplatzt ist.« Man muss dann sein Bein auf sie legen, damit sie nicht wieder wegläuft. Dann schiebt man einfach seine Hand rein und hofft, das Lamm zu fassen zu kriegen. Sieben Stück habe ich so auf die Welt gebracht. Zum Schluss war ich ein Profi.
»The Outrun« basiert auf dem autobiografischen Roman »Nachtlichter« von Amy Liptrot. Wie haben Sie sich Ihrer Figur genähert?
Ronan: Ja, man trägt so viel Verantwortung auf seinen Schultern, besonders, wenn man jemanden spielt, der etwas so Extremes und Verheerendes durchgemacht hat. Dazu ist Amy immer noch eine relativ junge Frau. Sie hat zwei Kinder, ihre Familie und ihre Eltern, die im Film mitspielen – das alles mussten wir ehren und schützen, während wir ihre Geschichte trotzdem in der ehrlichsten Form erzählen wollten.
Wie stand Amy Liptrot dazu?
Ronan: Ich denke, ohne ihre Unterstützung hätten wir den Film wahrscheinlich gar nicht erst gemacht. Als Künstlerin und Autorin hatte sie großen Respekt vor dem Prozess des Filmemachens und ließ uns wirklich freie Hand.
Wann hatten Sie das Gefühl, eine Verbundenheit mit ihr zu haben?
Ronan: Da müsste ich nochmals zurückgehen und das Buch noch einmal lesen. Ich glaube, eines der Dinge, die mir wahrscheinlich einen großen Einblick in ihre Psyche gaben, ist diese nichtlineare Struktur ihres Schreibstils. Ich las das Buch schon vor vielen, vielen Jahren. Und ich weiß noch, wie beeindruckt ich war, wie sie Erinnerungen aus Ihrer Kindheit beschrieben hat.
Inwiefern beeindruckt?
Ronan: Na ja, sie beschreibt, was sie sah, wie sie sich fühlte, was sie riechen konnte – all diese sensorischen Aspekte dieser Erinnerungen. Sie zeigt ihren Lesern in verschiedenen Richtungen, und zwar auf sehr emotionale und poetische Weise, wie sie selbst über das Leben nachdenkt. Ich glaube, unbewusst war das ein ziemlich hilfreicher Einblick in ihre Persönlichkeit.
Gewiss war es eine Ihrer intensivsten Rollen. Wie anstrengend war es?
Ronan: Es war nicht anstrengend. Es war sogar ziemlich belebend. Einer der Gründe, warum ich die Rolle spielen wollte, war, jemanden zu verkörpern, der jeglichen Sinn für Vernunft verliert. Es gibt dann keine Regeln mehr, an die man sich halten muss. Ich konnte sie von Szene zu Szene mal gemein, fies und kaputt porträtieren, dann wieder wunderbar, lustig und fröhlich machen. So wie ich es wollte, weil es keinen direkten Weg nach vorn gibt.
Wie war es aber für Sie, sich mit dem Thema Alkoholismus auseinanderzusetzen?
Ronan: Das war einer der Gründe, warum ich den Film machen wollte. Auch ich wurde schon mit Alkoholismus konfrontiert. Es gibt Menschen in meinem Umfeld, die darunter sehr gelitten haben. Es ist etwas, das einem so viel Schmerz, Trauer und Wut bereitet, wenn man ein geliebter Mensch von jemandem ist, der das durchgemacht hat. Ich habe das erlebt. Deshalb nahm ich die Rolle an, weil ich das Gefühl hatte, an einem Punkt in meinem Leben angekommen zu sein, an dem ich mich damit auseinandersetzen kann, aus der Sicht eines Süchtigen.
Würden Sie zustimmen, dass Alkoholismus eines der größten Probleme unserer Gesellschaft ist?
Ronan: Absolut, weil er überall vorkommt. Ich weiß nicht, wie es in Deutschland ist, aber ich vermute mal nicht viel anders als in Irland und Großbritannien. Dort gibt es diesen sozialen Druck, sich zu betrinken, und wenn man das nicht tut, ist man eine Spaßbremse. Meine Generation scheint jetzt aber langsam aufzuwachen und erkennt die Auswirkungen auf unsere Gesundheit und unsere Beziehungen. Mich macht das wütend.
Warum wütend?
Ronan: Es gibt einen Podcast von einer jungen Frau, die eine Alkoholikerin im Entzug ist. Sie sagt, dass insbesondere die Weihnachtszeit eine sehr schwierige Zeit für einen Alkoholiker ist. Allein die Werbung im Fernsehen zeigt, das Alkohol mit so vielen besonderen Ereignissen in unserem Leben in Verbindung gebracht wird. Nur zehn Prozent der Menschen, die Hilfe bei den Anonymen Alkoholikern suchen, stehen es tatsächlich durch. 90 Prozent werden wieder rückfällig. Es ist und bleibt ein großes Problem. (GEA)
»The Outrun«: ab 5. Dezember in den Kinos