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Aktuell Konzert

Saitenklang von zart bis feurig

Peter Graneis, Livio Gianola und das Jugend-Gitarrenorchester Baden-Württemberg im Spitalhofsaal

Hochkonzentriert: Lukas Pilgrim als Solist mit dem Jugend-Gitarrenorchester. Fotos: Knauer
Hochkonzentriert: Lukas Pilgrim als Solist mit dem Jugend-Gitarrenorchester. Foto: Armin Knauer
Hochkonzentriert: Lukas Pilgrim als Solist mit dem Jugend-Gitarrenorchester.
Foto: Armin Knauer

REUTLINGEN. Festivalatmosphäre lag in der Luft bei der neunten Gitarrennacht im Spitalhofsaal. Das Konzert am Samstagabend war umrahmt von Workshops samt einem Abschlusskonzert am Sonntagnachmittag. Auch das Hauptkonzert am Samstagabend war als Begegnung von Menschen, Generationen und Musikkulturen angelegt. Das Publikum, darunter Gitarrenfans wie Gitarrenschüler, lauschte in drei Sets Vorträgen von jungen Talenten und etablierten Könnern; in den Pausen tauschte man sich bei Hühnchenreis und Fladenbrot aus.

Kurzum, es war ein bisschen so wie bei den Gitarrenfestspielen in Nürtingen, nur in klein. Was kein Zufall ist, denn die Gründer der Gitarrennacht, Katrin Klingeberg und Sebastian Montes, leiten seit einigen Jahren auch die Festspiele in Nürtingen. Deren Geist haben sie nun nach Reutlingen geholt. Viele haben dabei geholfen. Gitarrenkollege Jacq Dorn als Mitorganisator zum Beispiel. Oder die Reutlinger Musikschule als Partner bei den Workshops. Frank Hüther von der Musikschule zeigte sich hoch erfreut über diese Kooperation.

Klarheit des Klangs: Peter Graneis.
Klarheit des Klangs: Peter Graneis. Foto: Armin Knauer
Klarheit des Klangs: Peter Graneis.
Foto: Armin Knauer

Gitarre im Orchesterformat

Das Konzept ging auf. Der Spitalhof war bestens gefüllt am Samstagabend. Für die Workshops waren extra Gäste von der Musikschule Halle angereist, auch sie saßen im Publikum. Und Gitarrenprofessor Helmut Oesterreich brannte bereits darauf, in dem von ihm geleiteten Ensemble-Workshop mit den jungen Musikern zu arbeiten.

Am Samstagabend war erst einmal sein eigenes Ensemble dran, das Jugend-Gitarrenorchester Baden-Württemberg. 24 junge Spielerinnen und Spieler, die unter Oesterreichs Leitung ihre gezupften Klänge zum filigranen Ganzen vereinen. In einem Satz aus Manuel M. Ponces »Concierto del Sur« brilliert Lukas Pilgrim als Solist, der das Stück auch bearbeitet hat. Feurige Flamenco-Anklänge brausen auf mit Salven der typischen Schlagakkorde. Grüblerische Monologe setzen Zäsuren; dazwischen eilt das Geschehen in rasantem Dreiertakt dahin.

Verträumte Melodien steigen aus kreiselndem Figurenwerk auf, zarte Flageolett-Töne blinken; dann wieder energisches Zupacken – Solist wie Orchester zaubern ein Stück Andalusien. Um Minimal Music geht es in Ulli Göttes »Two Groups«, speziell für dieses Ensemble geschrieben. An- und abschwellende Repetitionen bilden Rhythmusflächen, die sich überlagern; darüber legen sich gelöst perlende E-Gitarren-Klänge, die mal nach Pop, mal nach indischer Meditationsmusik klingen.

Fingertänze auf acht Saiten: Livio Gianola.
Bei der zehnten Reutlinger Gitarrennacht gilt die 2G+ Regel. Testmöglichkeiten sind vorhanden. Foto: Armin Knauer
Bei der zehnten Reutlinger Gitarrennacht gilt die 2G+ Regel. Testmöglichkeiten sind vorhanden.
Foto: Armin Knauer

Langsamer, dunkler und synkopischer wird’s im Mittelteil; der Schluss heizt das Geschehen hitzig an. Zur Entspannung gibt’s danach eine Art Western-Polka von Chet Atkins (»Blue Ocean Echo«): melodienselig, schmissig und mit süffigen Bottleneck-Glissandi. Sowie als Zugabe die thrillermäßig groovende Titelmelodie zu den James-Bond-Filmen.

In klassische Gefilde führt nach der ersten Pause der Stuttgarter Peter Graneis. Sein Streifzug durch die Epochen schlägt den Bogen von der Barockmusik eines Silvius Leopold Weiss über den Impressionismus Claude Debussys bis hin zur Gegenwart. Beeindruckend, mit welcher Durchsichtigkeit Graneis die Schichten dieser Musik offenlegt. Wie er den Klangcharakter in feinsten Nuancen abstuft.

Geradezu magisch wirkt sein Spiel mit Flageolett-Tönen. Ganze Melodiepassagen gestaltet er mit diesen materielos aufblinkenden, mit den Fingern der Griffhand nur zart angetupften Tönen, während der Daumen der Zupfhand samtwarme Bässe darunter legt. Welch berückend intime Saiten-Kammermusik!

Die Hitze Spaniens

Nach einer weiteren Pause übernimmt der Italiener Livio Gianola. Und da ist es wieder, das feurige Andalusien-Temperament, der Flamenco: mit grell auflodernden Ausbrüchen, scharf angerissenen Diskant-Phrasen und so rasenden Umspielungen, dass das Ohr fast nicht mehr mitkommt mit den Tänzen der Finger auf dem Griffbrett. Die müssen ihren Weg sogar auf acht Saiten finden statt wie gewöhnlich auf nur sechs – Gianola spielt ein Modell mit zusätzlichen Basssaiten.

Das gibt den Stücken eine eindrucksvoll satte Bassgrundierung – bringt den Gitarristen aber zwischendurch in die Bredouille, weil sich eine Saite immer wieder verstimmt. Immer wieder muss Gianola nachregeln – und belohnt das geduldige Publikum mit zwei heiter fließenden Stücken voll melodischer Anmut.

Ein gelungener Abend, der Lust machte auf mehr Saitenkunst – die beispielsweise das gleichzeitig laufende Gitarrenfestival Tübingen bot. Die Gitarre, sie ist derzeit im Aufwind. (GEA)