REUTLINGEN. Von Tübingen über Kirchentellinsfurt hat sich das Performance-Festival »Echt jetzt!« nach Reutlingen vorgearbeitet. Und wird mit einer kalten Dusche empfangen. Die kurze Begrüßungsrunde wird zur Regenschirm-Performance auf dem Marktplatz: mit dem Reutlinger Finanzbürgermeister Alexander Kreher, mit Jochen Hetterich vom Stuttgarter Institut für Auslandsbeziehungen als einem der Förderer, mit Volker Schubert und Andreas Hoffmann als Vorsitzenden des veranstaltenden Theater-Pädagogik-Zentrums Reutlingen (TPZ).
Das Spiel mit Frank Fierkes riesigem blumenartigen Ballon-Objekt als Anheizer entpuppt sich als so feucht wie fröhlich. Doch dann hat Petrus ein Einsehen. Jenny Winter-Stojanovic wickelt sich aus ihrem blauen Tuch, das sie in Performances von Tübingen über Kirchentellinsfurt nach Reutlingen getragen hat, bereits wieder im halbwegs Trockenen. Und »schwebt« am Ende in dem Tuchgewirr zwischen Reklamemasten, wie sie später erzählt. Der GEA-Reporter ist da nämlich schon weitergezogen: Zu viel lockt – und vieles davon gleichzeitig.
Beschwörungen der Gemeinschaft und Erlebnisse von Flucht und Heimatverlust sind am Donnerstag die bestimmenden Themen. Am Echazufer beim Krankenhäusle hat die integrative Gruppe »Theater ohne Namen« von der Bruderhausdiakonie einen gastlichen Tisch mit Essen und Trinken aufgebaut. Jeder darf sich hinzugesellen, eintauchen in die Runde. Das Gastmahl als Symbol mit uralten Wurzeln bis hin zur Bibel.
Dating-Ritual ohne Worte
Schüler des Kepler-Gymnasiums haben Kuscheltiere zerlegt und teils auf bizarre Art neu zusammengesetzt. Nun widmen sie sich an der Stadthalle Handlungen der Betreuung dieser Wesen. Da wird intensiv gefüttert, geschoren, geherzt – ein surreales Bild sozialer Zuwendung. Ganz ohne lebendes Gegenüber.
In der Performance einer integrativen Gruppe vom Kulturpark Nord in Rappertshofen gibt es dieses Gegenüber – doch müssen die Probanden aus dem Publikum dessen Präsenz schweigend ertragen. Nur Begriffe auf Kartons geben Anhaltspunkte für die jeweilige Befindlichkeit des Gegenübersitzenden: »Wut«, »Konflikt«, »Verständnis« und so weiter. Ein Dating-Ritual ohne Worte.
Im Heimatmuseumsgarten geht es gleich zweimal um Flucht und Ankunft in der Fremde. Jugendliche der Alice-Salomon-Schule haben einschneidende Erlebnisse auf Tücher geschrieben, die sie sich umhängen, ehe jeder seine Geschichte vorträgt. Am Ende wird aus den Tüchern eine Trage, in der eine der Schülerinnen schlummert, gewiegt von den anderen. Die kürzlich am TPZ gegründete Gruppe »Zusammenspiel« packt Ausgrenzung, Abgrenzung und Fluchterfahrung in eine theaterartige Szene – Ausschnitt eines einstündigen Stücks, das am 1. und 2. August im TPZ gezeigt wird. In beiden Gruppen wirken Menschen mit Fluchterfahrung mit, lassen in ihr Leben blicken.
Liebe und Einsamkeit, Verlorenheit und Lebensmut, all das steckt auf rätselhafte Weise auch in der halbstündigen Performance von Thyitar aus Myanmar. In ruhiger Meditation spießt sie Rosenblüten an Angelhaken, verbindet sie durch rotes Garn mit ihren Ohren, schleppt die Blütenfracht auf einem feierlichen Parcours über das Pflaster.
Schließlich wickelt sie sich die Fäden um den Kopf, bis ihr Gesicht ganz eingesponnen ist und von den Rosen umrahmt. So läuft sie erneut die Bahn ab, zerreibt dabei die Rosen und verstreut die Blütenblätter auf dem Boden. Welch intensives Bild von Liebe, Leben, Einsamkeit und Vergänglichkeit! (GEA)
TERMININFO
Das Performance-Festival »Echt jetzt!« geht heute zu Ende. Von 17 Uhr an sind noch einmal Performances auf dem Marktplatz, am Tübinger Tor, am Echazufer, im Bürgerpark und im Heimatmuseumsgarten. Um 19 Uhr ist auf dem Marktplatz die Schlussperformance mit allen Künstlern. (GEA)