TÜBINGEN. Wie war das nochmal, im vergangenen Monat, in Episode eins? Da drangen drei Gauner des Nachts in eine Apotheke ein, trafen auf zwei Apothekenangestellte, die dort nichts zu suchen hatten, enttarnten sich selbst sehr ungeschickt und wurden so zu Geiselnehmern. Eine Räubergeschichte mit doppeltem Boden, denn manches blieb dabei im Dunkel, geheime Motive wurden angedeutet, ein Skandal ums Pharmageschäft vielleicht.
Wie geht es also weiter mit »Im Taumel des Zorns«, dem bislang ungemein geglückten Experiment des Tübinger Zimmertheaters? Ganz nach den Regeln der Serie natürlich, die in der zweiten Episode nicht Aufklärung bringen, sondern Aufschub, eine neue Drehung der Spannungsschraube, neue Rätsel – und nach den Regeln des Theaters, das Perspektiven verschiebt, Handlungsmuster hinterfragt. Ein neuer Autor tritt auf, eine neue Regisseurin: Caspar-Maria Russo, nominiert für den Autori*innenpreis des Heidelberger Stückemarkts 2023, lieferte die Vorlage, Magz Barrawasser, die am Zimmertheater bereits »Liebe in Zeiten der Schichtarbeit« inszenierte, führte Regie.
Publicity muss her!
Der Ton also ist ein anderer, der Thriller nimmt komödiantische Züge an, die manchmal kippen. Der Beschluss der Einbrecher, an die Öffentlichkeit zu treten, alles an die große Medienglocke zu hängen, soll umgesetzt werden – natürlich von Enno (Cyril Hilfiker), denn er ist ja Journalist. Holle, Ennos Cousine, windet sich krebskrank und mit bösem Gesicht in einer Hängematte, Ove (Morris Weckherlin) geistert entgeistert umher und die beiden Apothekenfrauen Merit und Cecilia, Seraina Löschau und Lauretta van de Merwe, gewinnen Oberhand. Die Personengruppe in der Apotheke differenziert sich aus, die Bühne, die Valentin Baumeister schuf, verändert sich: Einzelne Segmente des Apothekeninneren werden zur Seite geschoben, isoliert, Klüfte tun sich auf, zusätzliches Licht betont einzelne Szenen, manchmal ist ein kleiner Sprung nötig, um von hier nach da zu kommen. Die Musik von Konstantin Dupelius sorgt rhythmisch kühl und elektronisch für Beschleunigung.
Den Geiselnehmern beginnt indes der Magen zu knurren; sie möchten Frühstück. Das Krankenhaus indes fordert Medikamente an – die kühle Stimme einer Polizistin meldet sich am Telefon, spricht von Patienten, die sonst sterben müssen. Man vereinbart einen Austausch, Medikamente gegen Frühstück, doch Schreck: Die Medizin ist weg, das Lager leer. Weshalb? Was nun?
Der Kampf ums Frühstück
Im Mittelpunkt der Episode steht Enno, der zunehmend unter Druck gerät – allein schon, wenn er das Schild malt, das der Außenwelt von der Geiselnahme künden soll. Die Apotheke wird zum Miniaturkosmos, in dem Charaktere aufeinanderprallen, sich anfeinden. Als das Frühstück eintrifft – ein Monumentalcroissant, groß wie ein Sofa, entliehen vom Jungen Ensemble Stuttgart – reißt die Pharmazeutin Cecilia es an sich, beginnt, die hungrigen Entführer zu erpressen. Lauretta van de Merwe wandelt ihre Figur einer frustrierten Angestellten in eine Furie, die höhnend auf dem Hörnchen reitet. Eva Lucia Grieser als Holle Toepfer derweil scheint der ruhende Punkt des Mobiles zu sein: Sie ist schwach, vom Hass verzehrt und bitter: »Seit in mir ein Geschwür das andre fickt, du kannst dir gar nicht vorstellen, wie viel Selbsthass das erzeugt.«
Die Schauspieler werden zum Chor und sprechen in bissiger Betonung die Namen von Krankheiten aus: »Bauchspeicheldrüsenkrebs, Schilddrüsenkrebs, Leu-kä-mie!« Auch weitere Todesursachen, zum Beispiel: »Genickbruch beim Uhranziehen, Ertrinken beim Suppeschlürfen, Leistenbruch beim Klopapierumdrehen« - »Ein Leben geht so schrecklich schnell vorbei!« Und außerdem: Die Cola zum Frühstück soll kalorienarm sein, bitte sehr.
Schuss im Dunkeln
Zuletzt deutet sich an, dass Merit Tiefenbrunn, die scheinbar ganz naive Pharmaassistentin, sehr viel mehr weiß, als die Räuber ahnten. Da wird es dunkel und ein Schuss ertönt: ein Cliff-Hanger aus dem Lehrbuch.
»Und jetzt wird es Zeit für ein allererstes Fest« – so heißt die zweite Episode. Feiern wollen die Entführer schließlich auch, die Öffentlichkeit soll zusehen, aber wo bleiben die Kameras? Mit Situationskomik, absurden Dialogen, zugespitzter Gruppendynamik und schwelender Spannung scheint wiederum ein Hauch Quentin Tarantino auf der Bühne zu liegen. Cyril Hilfiker ringt fabelhaft hysterisch mit dem grünen Schnurtelefon. Am 6. Januar wird man (möglicherweise) erfahren, wer geschossen hat.