REUTLINGEN. Die Orgelnacht muss ausfallen, aber der Reutlinger Orgelsommer 2020 findet statt. Die frohe Botschaft verkündeten Pfarrerin Sabine Großhennig, Kulturamtsleiter Dr. Werner Ströbele, Bezirks- und Marienkirchenkantor Torsten Wille sowie Brigitte Zirngibl, Vorsitzende des Fördervereins der Kirchenmusik in der Reutlinger Marienkirche. Ihr Dank galt auch der Kreissparkasse Reutlingen als Sponsor. Sieben Konzerte werden in der Marienkirche, eines in der Kirche St. Wolfgang zu hören sein.
Der Förderverein der Marienkirche ist ausnahmsweise Ausrichter der Reihe und hatte auch den Förderantrag beim Land gestellt. »Da wir sonst eher im Hintergrund agieren, war das auch eine gute Gelegenheit, uns mit unserem Anliegen in der Öffentlichkeit zu präsentieren«, so Zirngibl. Personelle Engpässe hatten es verhindert, dass das Kulturamt als Veranstalter tätig wurde. »Der Orgelsommer ist seit 30 Jahre eine bewährte Reihe«, so Ströbele. »Wir gehen davon aus, dass das Kulturamt die Aufgabe nächstes Jahr wieder übernimmt.«
Wille dankte dem Kulturamt für seine dennoch große Unterstützung sowie dem Förderverein, der die Reihe finanziell ermögliche. »Wir haben genug Leute, die an einem Strang ziehen.« Dennoch mussten Veranstaltungen mit der Württembergischen Philharmonie Reutlingen, dem Kammerchor und Organisten aus dem Ausland entfallen.
Der Orgelsommer beginnt am Donnerstag, 30. Juli, mit einem Familienkonzert über das Andersen-Märchen »Die Glocke«. Glockenvertonungen werden zu hören sein, unter anderem von dem großen französischen Orgelsinfoniker Louis Vierne (1870–1937), an dessen 150. Geburtstag der Orgelsommer erinnert. »Das Konzert findet um 10.30 Uhr und um 12 Uhr statt«, sagte Pfarrerin Großhennig. »Wir können in diesem Fall nur 80 Plätze im Mittelschiff bereitstellen.« Bei allen anderen Konzerten finden dann 210 Gäste Platz. Orgelführungen sind nicht möglich.
Ab dem 1. August gibt es bis zum 12. September jeden Samstag ein Konzert. Torsten Wille macht den Anfang mit der Großen Fuge op. 133 von Beethoven sowie der ersten Sinfonie von Vierne. Von seinen sechs Sinfonien werden insgesamt fünf zu hören sein. Der Organist an der Kathedrale Notre-Dame und Orgelprofessor am Pariser Konservatorium habe eine Reihe von Schicksalsschlägen verkraften müssen. »Es wäre aber zu viel gesagt, dass deshalb seine Sinfonien in Moll geschrieben sind«, so Wille.
1937 starb Vierne während eines Konzerts am Spieltisch seiner Orgel. Wille beschrieb ihn als äußerst vielseitig und experimentierfreudig, sowohl stilistisch als auch bei den Besetzungen. Die Rieger-Orgel der Marienkirche sei ein »wegweisendes Instrument« für Viernes Musik.
Komponistinnen im Blick
Zu Gast ist am 15. August Stefan Kordes, einer der profiliertesten Kirchenmusiker Niedersachsens. An der Orgel spielt er eine Toccata über »Tu es petra«, in der Henri Mulet (1878–1967) die Eindrücke einer Reise nach Byzanz verarbeitete. Eine Woche später ist mit Peter Eberl der Soloflötist der Württembergischen Philharmonie an der Reihe. Zusammen mit seiner Schwester Katharina Eberl (Sopran) lässt er Werke von Vierne, Poulenc, Debussy und Ravel erklingen.
Komponistinnen wie Fanny Hensel und Germaine Tailleferre verleiht Ursula Herrmann-Lom (Stuttgart) am 29. August eine Stimme. Orgelprofessor Stefan Viegelahn (Frankfurt) spielt am 5. September Werke von Muffat und Bach, bevor Torsten Wille am 12. September das Abschlusskonzert in der Marienkirche gibt. »Vierne meets Jazz« wird einen völlig neuen Aspekt des Komponisten zeigen.
Am 8. August findet das einzige Konzert in St. Wolfgang statt. Ute Brandmaier (Horn) und Andreas Dorfner (Orgel) führen mit kürzeren Stücken durch ganze Epochen. (gb)