REUTLINGEN. »Beethoven gehört zum NWO wie die Rechtschreibfehler auf den Plakaten: Mindestens einmal im Jahr ist er dabei«, ließ das Reutlinger Nachwuchsorchester (NWO) die Besucherinnen und Besucher seines Herbstkonzerts im Programmheft wissen. Es gehe auch bei diesem zweiten Konzert, mit dem man 70 Jahre NWO feiere, darum, das zu tun, »was uns seit 70 Jahren zusammenschweißt und was uns bis heute am meisten Spaß macht: gemeinsam Musik machen, ohne Angst vor großen Werken, mit Mut zu falschen Tönen, mit Herzblut«.
Beethoven als Aufwärmprogramm - das war mutig. Und ein bisschen war dem Orchester am Sonntagabend der Kaltstart in der mit rund 1.000 Zuhörerinnen und Zuhörern gut gefüllten Reutlinger Stadthalle schon auch anzuhören. Rasch aber fanden die jungen Musikerinnen und Musiker zu der verblüffend souveränen Form, die man von ihnen unter der Leitung von Maria Eiche gewohnt ist. Da hat die Orchesterfreizeit in den Herbstferien in Weikersheim spürbar Früchte getragen. Denn das Orchester, das nur zu Beginn von Beethovens Tripelkonzert dominant war, verstand sich auch vortrefflich aufs spritzige und sensible Begleiten. Mit farbigen Tupfern, atmosphärischem Grundrauschen und auf den Punkt gespielten Akzenten. Wovon das Zusammenspiel der Solisten Elisa Schrape (Violine), Benjamin Hänisch (Violoncello) und Philipp Hänisch (Klavier) erheblich profitierte.
Reife Leistung
Diese schufen - überwiegend Leichtigkeit und Lebensfreude versprühend in dem Stück, das Ähnlichkeiten zur Gattung des Klaviertrios und der Sinfonia concertante aufweist - auch verträumte Momente. Festlich und im glanzvollen Tutti, mit marschartiger Punktierung und kantablem Seitenthema der erste Satz, lebendig durch den Variantenreichtum seiner Melodienführung der zweite, geprägt durch weiche Übergänge von Ritornell und Couplets der dritte. Die Initiative ging dabei oft vom Cello aus. Beeindruckend waren neben der klanglichen Ausgewogenheit und Virtuosität des Solisten-Trios die gemeinsame Interpretationslinie, das Aufblühen, das gemeinsame Atmen in und mit der Musik. Eine reife Leistung der jungen Solisten. Die mit einem Satz aus Paul Schoenfields »Café Music« als Zugabe das Publikum auch mit bluesgetränkten Klängen begeisterten.
Brahms war nach der Pause Teil der NWO-Fete. Dessen »Ungarische Tänze« präsentierte das Orchester mit wunderbarem Farbenreichtum, Seele und Temperament. Dabei gelangen die Wechsel zwischen schnellem und langsamem Tempo hervorragend. Ungewöhnlich war die Reihenfolge der Tänze: Auf Nummer 19 (nicht der stärkste) folgten 5 (glutvoll, keck und verspielt) und 4 (seufzerdurchzogen, lebensprall). Damit spielte das NWO auf das Jahr seiner Gründung, 1954, an.
Abitur gemacht
Im Programmheft fand sich der Hinweis: »Wir haben dieses Jahr mit unseren 70 Jahren erstmals Abi gemacht.« Maria Eiche enthüllte dem Publikum, was damit gemeint war: Das NWO war Teil der Abi-Prüfung von Magdalena Wicker im Fach Dirigieren. Die Absolventin, die beim NWO als »musikalische Assistenz« Akzente auch in der Probenarbeit setzt, kam denn auch im Konzert zum Einsatz. Sie dirigierte Brahms' Ungarischen Tanz Nummer 1 mit energischem Schlag, der dem Orchester Zunder gab.
Wenn das Publikum da schon aus dem Häuschen war, galt das nach Arturo Márquez' Stück »Danzón No. 2« umso mehr. Bekannt für seine sinfonischen Werke, die Idiome mexikanischer Volksmusik in den Orchesterklang integrieren, lieferte der 1950 geborene Komponist hier den - so die Formulierung im Programmheft - »finalen Geburtstagspartykracher«. Eröffnet von einem sanften Klarinettensolo und begleitet von tangoartigen Rhythmen, war es die Oboe, die das Stück in einen intensiver werdenden Tanz aller überführte. Mit weiteren solistischen Ausflügen mit teils intimem Charakter, Klangballungen. Energisch, in einem umfassenden Sinne kraftvoll, dramatisch war diese Musik, mit packenden Rhythmen und Gegenrhythmen, die einen als Zuhörer soghaft in diese fantastische Musik hineinzogen. (GEA)