REUTLINGEN. Ein ansehnlicher Spendenbetrag ist bereits zusammengekommen beziehungsweise fest zugesagt, sodass das Orgelprojekt der Marienkirche, insbesondere die Erweiterung um ein Orchestralwerk, in eine neue Phase eintreten kann. Knapp 900.000 Euro sind als Gesamtkosten der Sanierung und Erweiterung der Rieger-Orgel in der Reutlinger Kirche veranschlagt. Zu den rund 200.000 Euro aus Spenden kam nun die Zusage einer »Gruppe von Reutlinger Industriellen«, wie Pfarrerin Sabine Großhennig erklärte, die zusammen 350.000 Euro beisteuern wollen, um die Umsetzung des Vorhabens zu ermöglichen.
Auch Oberbürgermeister Thomas Keck als Schirmherr des Projekts und Dekan Marcus Keinath waren zum Pressetermin in die Marienkirche gekommen, um ihre Unterstützung zu signalisieren. Nach der Ordnung der Württembergischen Landeskirche muss eine Orgel-Erweiterung durch Spenden finanziert werden. Der Auftrag, so Großhennig, dürfe »erst erteilt werden, wenn man zwei Drittel der Gelder hat«. Das ist nun beim Reutlinger Vorhaben der Fall.
Bedenken ausgeräumt
Die andere gute Nachricht, die die Pfarrerin und Bezirkskantor Torsten Wille verkündeten: Die denkmalrechtliche Genehmigung für die Erweiterung wurde erteilt. Bedenken, dass etwa die Rosette über dem Hauptportal der Kirche vom Inneren gesehen verdeckt werden könnte, konnten ausgeräumt werden. Dazu waren eigens Orgelgehäuseattrappen hinter der Orgel aufgebaut worden, um den Platzbedarf für die neuen Pfeifen und mögliche Sichtbeschränkungen zu simulieren.
Als Idee mit Charme und schöne und persönliche Form bürgerschaftlichen Engagements bezeichnete OB Keck die Orgelpfeifen-Patenschaft, mit der weiter Geld akquiriert werden soll. »Mir liegt viel daran, dass die Strahlkraft der Marienkirchen-Orgel in Reutlingen und weit darüber hinaus erhalten bleibt. Mehr noch: Sie soll durch die technische Erweiterung noch gesteigert werden.«
»Juwel im Juwel«
Ein »Juwel im Juwel« sei die Orgel in Reutlingens Wahrzeichen, ein Stück städtische Identität, so der Oberbürgermeister, der hervorhob, dass die Stadt die derzeitige Sanierung des Kirchturms mit 215.000 Euro unterstützt. Auch ein Bekenntnis zum Erhalt städtischer Kulturreihen wie dem Orgelsommer legte er ab. Alle »anfänglichen leisen Zweifel« an der Durchführbarkeit der Orgel-Erweiterung seien Vergangenheit, sagte Dekan Keinath. Nun überwiege die Zuversicht, »dass dieses große Projekt gelingen wird«.

Bezirkskantor Wille skizzierte, worum es im Kern geht. Mit 53 Registern auf drei Manualen und Pedal zählt die Marienkirchenorgel zu den größten und profiliertesten Instrumenten der Region. Allerdings waren ursprünglich 73 Register geplant. Ein Vorhaben, das im Jahr 1988 wegen rigider Auflagen nicht in die Tat umgesetzt werden konnte. Nach über 30 Jahren steht nun die Ausreinigung und Sanierung der Rieger-Orgel an.
Doch dabei will man es nicht bewenden lassen. Die vielseitige Klangwelt soll mit über tausend zusätzlichen Pfeifen weiterentwickelt werden. Das jetzige Instrument mit seiner hohen Qualität soll dabei nicht »auseinandergenommen« werden. Vielmehr soll die Erweiterung additiv erfolgen. Was so viel heißt, dass die Orgel bestehen bleibt und um ein separates Werk erweitert wird.
Vier renommierte Orgelbaufirmen wurden in einer ergebnisoffenen Ausschreibung aufgefordert, ein Konzept und ein Angebot einzureichen. Im Auswahlverfahren konnte die Firma Klais Orgelbau aus Bonn überzeugen. Sie soll das neue Werk in zwei sogenannten Schwellkästen im Turmraum hinter der Orgel errichten. Diese sind diagonal dem Raum zugewandt, sodass die Rosette frei bleibt und der Klang gut in den Kirchenraum strahlen kann. Einige Soloregister (Schlagwerk und Klarinette) werden weiter vorn positioniert, die großen Pedalpfeifen sollen liegend auf dem Dach der Orgel unterkommen.
Größerer Farbreichtum der Orgel
All das dient dem Zweck, den Farbreichtum der Orgel etwa im Streicherbereich mit leiseren und lauteren Zwischentönen zu verstärken. Mit der Orchesteroboe bekomme man eine reizvolle Alternative zur klassischen Oboe. Das Ziel, noch mehr in die Lautstärke zu gehen, verfolgt man laut Torsten Wille nicht.
Ein Schlagwerk soll ergänzt, der Spieltisch und die elektronische Steuerung sollen modernisiert werden. 82 Register wird das Instrument am Ende haben. 2023, so der Plan, oder spätestens ein Jahr später soll die erweiterte Orgel beim Reutlinger Orgelsommer zur Verfügung stehen.
Vorbereitend wird die Trennscheibe zwischen Orgel und Rosette entfernt. Der Raum hinter der Orgel wird klimatisch ertüchtigt, wie Albert Hörz vom Architekturbüro Riehle und Assoziierte ausführte. Die Rosette bekommt eine Doppelverglasung und die Türen und Glockenlöcher werden abgedichtet. (GEA)