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Reutlinger Listhalle: Erst Nazi-Halle, dann Kultur-Tempel

Martialisches Gehabe in den 1930ern- und 1940ern, Spitzen- und Breitenkultur bis ins Jahr 2012: Die Friedrich-List-Halle in Reutlingen wandelte sich von der Nazi-Stätte zum Kultur-Tempel.

Die Nationalsozialisten nutzten die 1938 errichtete Halle für Aufmärsche. Foto: Stadtarchiv Reutlingen
Die Nationalsozialisten nutzten die 1938 errichtete Halle für Aufmärsche.
Foto: Stadtarchiv Reutlingen

REUTLINGEN. Wenn man sich anschaut, was im letzten Jahr des Bestehens der Friedrich-List-Halle in diesem kulturellen und gesellschaftlichen Wohnzimmer der Stadt alles geboten war (manche sprachen auch von Reutlingens architektonischer grauer Maus), könnte man meinen, dass mit ihrem Verschwinden eine ganze Menge verloren gegangen ist. »Der Nussknacker« war da zu sehen, Kabarettist Rüdiger Hoffmann trat auf, ebenso der Geiger Daniel Hope, die Amigos, die Ehrlich Brothers. Hannelore Hoger trug Abschiedsbriefe liebender Paare vor, Dominique Horwitz sang an der Seite der Württembergischen Philharmonie Chansons von Jacques Brel.

2012 war das. Die Junge Sinfonie Reutlingen lud ein letztes Mal in der Halle zum Silvesterkonzert. Die Stadthalle Reutlingen als Ersatz stand da bereits kurz vor der Eröffnung. Im Juni 2013 meldete der GEA dann: »Im Bauch der Friedrich-List-Halle rumort es gewaltig, weil ihr die Eingeweide entfernt werden.« Bis Ende August sollte das Gebäude dann fallen, dem verspiegelten Theaterneubau der Tonne Platz machen.

Aufführung mit Zähneklappern

Verloren ging bei diesem Übergang fast nichts. Der Hallenname »List« bedauerlicherweise. Auch findet sich heute kein Wikipedia-Eintrag mehr, der auf die Listhalle eingeht (nur in einem Artikel über die Stadthalle findet sie noch Erwähnung).

Die Erinnerungen, die sich mit der Listhalle verbinden, von Boxkämpfen über Abschlussbälle bis zu Uraufführungen von Chorwerken, sind bei allen, die vor der Jahrtausendwende geboren wurden, bis heute lebendig. Die Jüngeren dagegen wissen kaum, dass an der Stelle des Theaters einmal der Vorläufer der Stadthalle stand. Eine Halle mit Macken, mit einer gewissen Tristesse, trotz Edelholz an den Wänden. Von der neben inspirierenden Veranstaltungen auch Lothar Schalls Gemälde im Foyer ablenkten, die, wie Hansdieter Werner, vormals Kulturchef dieser Zeitung es formulierte, sonnenhafte Freude auslösten und die Listhalle zum Kunsthaus adelten.

Pläne, die Halle durch einen Neubau zu ersetzen, gab es schon in den 80ern. Alt und baufällig war sie, als ihr schließlich das Totenglöcklein läutete, 74 Jahre nach ihrer Errichtung. Als Vielzweckbau, mit kulturellem Schwerpunkt bestimmt, war sie 1938 auf der Bildfläche erschienen und rasch für Nazi-Aufmärsche genutzt worden. Schon die Einweihung war ein Fest brauner Uniformen und Hakenkreuzfahnen. NSDAP-Kreisleiter Otto Sponer sah es als »gutes Omen, dass die Versammlungshalle gerade dort entstanden ist, wo Adolf Hitler 1932 sprach«. Pläne für einen ganzen Nazipark, mit der Halle als Bestandteil, gingen im Inferno des Zweiten Weltkriegs unter.

Die Halle selbst, die 1939 noch eine Konzertorgel bekommen hatte, brannte im Krieg nieder und wurde 1947 in sehr einfacher Bauweise wiedererrichtet. Eine aufwendige Sanierung gab es 1972, 1980 musste noch einmal nachgebessert werden. Doch das Provisorium blieb eines. Im Foyer herrschte etwa bei Sinfoniekonzerten der Württembergischen Philharmonie drangvolle Enge. Dass die klanglichen Möglichkeiten nicht befriedigend waren, vermochten auch die installierten himmelblauen Akustik-Elemente auf der Bühne nicht zu ändern.

Die Württembergische Philharmonie Reutlingen in der Listhalle im Jahr 2008. Foto: Lippert
Die Württembergische Philharmonie Reutlingen in der Listhalle im Jahr 2008.
Foto: Lippert

Die damalige GEA-Kulturchefin Monique Cantré erinnerte im Dezember 2012 auf einer Sonderseite im GEA unter dem Titel »Tschüss, Listhalle!« an eine Theateraufführung mit Zähneklappern, die sie in der Listhalle besuchte. Bei »Platonov« im Januar 1991 hatte die Heizung geschwächelt. »Die Besucher holten dann in der Pause ihre Mäntel aus der Garderobe, um die Aufführung bis zum Schluss durchzustehen.« (GEA)