Logo
Aktuell Ausstellung

Reutlinger Kunstverein mit »Jahresgaben«-Schau

Die Leiterin des Kunstvereins Reutlingen, Imke Kannegießer, bei einem »Textil-Auge« von Zora Mann
Die Leiterin des Reutlinger Kunstvereins, Imke Kannegießer, bei einem »Textil-Auge« von Zora Mann, im Hintergrund Malerei von Cornelia Baltes. FOTO: KNAUER
Die Leiterin des Reutlinger Kunstvereins, Imke Kannegießer, bei einem »Textil-Auge« von Zora Mann, im Hintergrund Malerei von Cornelia Baltes. FOTO: KNAUER

REUTLINGEN. Die Corona-Pandemie hat auch das Programm des Reutlinger Kunstvereins durcheinandergewirbelt. Die Schau von Gerrit Frohne-Brinkmann konnte am 20. September noch öffnen, doch dann kam der Lockdown. Kunstvereinsleiterin Imke Kannegießer verschob die ab Dezember geplante Ausstellung von Sunah Choi auf Mai und verlängerte die bestehende von Frohne-Brinkmann bis 10. Januar. Was aber tun bis zur Jubiläumsausstellung zu 70 Jahren Gedok Reutlingen ab 7. März? Vier Wochen waren übrig – Kannegießer entschied, sie für eine »Jahresgaben«-Schau zu nutzen.

Was sind Jahresgaben? Arbeiten, die Künstler traditionell einmal im Jahr den Kunstvereinen für eine Ausstellung für den Verkauf zur Verfügung stellen. Den Erlös teilen sich Künstler und Kunstverein je zur Hälfte. In diesem Fall war die Zeit zu kurz, um noch neue Werke zu produzieren, der Plan entstand erst Anfang Dezember. Es geht daher um schon bestehende Arbeiten von 2012 bis 2020.

Bilder selbst abgeholt

Bei neun Künstlern klopfte Kannegießer telefonisch an: »Alle haben zugesagt!« Aus praktischen Gründen hat sie sich auf die Berliner Szene gestürzt – und die Bilder dort selbst abgeholt. Denn eines war klar: Das Risiko, dass die Galerien und Museen vor 21. Februar gar nicht mehr öffnen dürfen, ist groß. Aufwand und Kosten sollten sich daher in Grenzen halten.

Cyrill Lachauers Fotografie aus einer USA-Serie.  FOTO: LACHAUER
Cyrill Lachauers Fotografie aus einer USA-Serie. FOTO: LACHAUER
Cyrill Lachauers Fotografie aus einer USA-Serie. FOTO: LACHAUER

Es ist deshalb so eine Art Blick in die Berliner Künstlerszene geworden, mit einem Schwerpunkt auf Malerei, ergänzt durch etwas Fotografie und einige plastische Objekte. Installationen oder Performances kann man sich schlecht an die Wand hängen, sie eignen sich daher kaum für eine Verkaufsaufstellung.

Was der ausgesperrte Besucher derzeit verpasst, ist ein fulminanter Empfang durch eine große, gestisch wilde Abstraktion von Bastian Börsig. Als Karlsruher ist er der Außenseiter im Berlin-dominierten Feld. Und schlägt sich wacker mit seinen turbulenten Bildern, die mit Humor in surreale Fantasiewelten führen. Um real Erlebtes geht es hingegen in den Bildserien Cyrill Lachauers. Er hat entlegene Regionen der USA durchstreift und dabei melancholische Momentaufnahmen festgehalten: ein Hund hinterm Fenster, ein Autowrack am Straßenrand, ein Güterzug im Nirgendwo. Momentaufnahmen wie aus einem Roman von William Faulkner. Ein Polaroid von Gerrit Frohne-Brinkmann scheint ebenfalls ein zufällig entstandener Schnappschuss zu sein. Aber wie kommen die Dinosaurier da drauf? Ein hintersinniges Spiel mit der scheinbaren Authentizität des Sofortbilds.

Ein an Stammeskulturen und Afrika erinnerndes Territorium durchstreift Zora Mann in ihren Radierungen. Doch nur auf den ersten Blick. Der zweite verrät, dass es eine surreale Eigenwelt ist, die Zora Mann hier aufbaut, mit rätselhaften Strukturen, Symbolen und Symmetrien. Darin darf man sich versinken lassen, genau wie in ihren Sitzsack in Gestalt eines riesigen Auges, dessen Füllung mit Minze und Rosenblüten angereichert ist, sodass er den Ruhenden in Duft hüllt.

Karin Sanders Mini-Alpenmassiv im 3-D-Druck. FOTO: STUDIO SANDER
Karin Sanders Mini-Alpenmassiv im 3-D-Druck. FOTO: STUDIO SANDER
Karin Sanders Mini-Alpenmassiv im 3-D-Druck. FOTO: STUDIO SANDER

Eine weitere Plastik stammt von Karin Sander: Sie hat mit Daten aus Google Earth ein Alpenmassiv im Mikroformat auf dem 3-D-Drucker produziert. Und bringt so Größe und Winzigkeit, Natur und Künstlichkeit in ein ironisches Spiel.

Ironisch verspielt kommen auch die blau glänzenden glasierten Keramiken von Zoë Claire Miller daher. Ihre kleinen Männchen sehen auf den ersten Blick putzig aus – auf den zweiten Blick werden sie allesamt von ihrem eigenen Geschlecht übermannt. Ein augenzwinkernder Kommentar zum Männlichkeitswahn.

Gefräste Linien

Eine eigentümliche Ästhetik zwischen Grafik und Pop-Art entwickelt Cornelia Baltes in ihren Bildern. Ihre leuchtenden Bilder in Weiß-Rot oder Weiß-Gelb wirken wie Siebdrucke, sind aber Acrylmalereien auf schwarze MDF-Platten. Der Clou: Die schwarzen Linien sind nicht aufgemalt, sondern mit einer Fräse in den Farbüberzug eingefräst. Sie »zerschneiden« die Bildstruktur daher im Wortsinne.

Die Grafiken von Caroline Kryzecki schwanken hingegen zwischen Op-Art und konkreter Kunst. Nach einem festgelegten »Code« setzt sie Kugelschreiberlinien oder malt Felder von Millimeterpapier aus. Die gesetzten Spielregeln sorgen dafür, dass sich die einzelnen Linien oder Felder zu faszinierenden fraktalartigen Mustern überlagern.

Schließlich Linus Rauch, der (inzwischen durchaus renommierte) Autodidakt im Feld. Er bemalt Leinwände mit abstrakten Farbkompositionen – und überzieht das Ergebnis mit halbdurchsichtiger Folie. So schimmern die Farbstrukturen wie durch einen unbestimmten Nebel zum Betrachter durch.

Ein spannender Bogen von Ansätzen entfaltet sich hier – schade, dass die Corona-Beschränkungen im Moment keinen Zutritt erlauben. Ein Blick auf die Kunstvereins-Homepage oder -Instagram-Seite gewährt jedoch hübsche Einblicke. Und auf Anfrage führt Imke Kannegießer per Video Interessierte durch die Schau. Wer weiß, vielleicht reicht es ja doch noch zu einer Öffnung der Ausstellung. (GEA)

 

AUSSTELLUNGSINFO

Die Ausstellung »Jahresgaben« im Kunstverein Reutlingen geht bis 21. Februar und ist derzeit wegen Corona geschlossen. Sollte die Schau noch öffnen, wären die Öffnungszeiten Mittwoch bis Freitag 14 bis 17 Uhr, Samstag, Sonn- und Feiertage 11 bis 17 Uhr. Einblicke gibt es digital.

www.kunstverein-reutlingen.de

www.instagram.com/kunstverein_reutlingen/

07121 338401