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Reutlinger Kunstmuseum: Wie die Zeit verrinnt

Das Kunstmuseum Reutlingen stillt 2022 den »Hunger nach Bildern«. Künstlerappell an den Gemeinsinn.

Çig˘dem Aky hat als neue Stipendiatin der HAP-Grieshaber-Stiftung das Atelier in der Reutlinger Peter-Rosegger-Straße bezogen.
Çig˘dem Aky hat als neue Stipendiatin der HAP-Grieshaber-Stiftung das Atelier in der Reutlinger Peter-Rosegger-Straße bezogen. FOTO: PR
Çig˘dem Aky hat als neue Stipendiatin der HAP-Grieshaber-Stiftung das Atelier in der Reutlinger Peter-Rosegger-Straße bezogen. FOTO: PR

REUTLINGEN. Einen 90-jährigen Künstler, den 1931 in Frankenberg (Eder) geborenen Maler und Filmregisseur Strawalde alias Jürgen Böttcher, wird das Kunstmuseum Reutlingen in diesem Jahr mit einer Ausstellung ehren. Er erhält den mit 20.000 Euro dotierten Jerg-Ratgeb-Preis, den die HAP-Grieshaber-Stiftung alle vier Jahre für ein überzeugendes Lebenswerk vergibt. Auf der anderen Seite erhält eine junge Künstlerin die Chance, erstmals in einem Museum auszustellen: Çi g˘dem Aky, 1989 in München geboren, hat bereits ihre Wohnräume und ihr Atelier auf Zeit in Reutlingen bezogen, wo sie auf eine im Juli beginnende Schau in den Wandel-Hallen hinarbeitet. Sie ist 18. Stipendiatin der HAP-Grieshaber-Stiftung.

Ina Dinter, Leiterin des Kunstmuseums Reutlingen, und ihr Kuratorenteam haben das Ausstellungsprogramm für 2022 vorgestellt, das unter anderem auch einen umfassenden Blick auf HAP Grieshabers Darstellung von Liebespaaren ab den 1930er-Jahren und eine Begegnung mit der Kunst Vera Leutloffs umfasst.

Übermalte Kunstpostkarten

Zunächst aber wird es ab dem 26. Februar unter dem Titel »Vom Verrinnen« um Zeitkonzepte der Gegenwartskunst gehen. Eine Schau, an der Holger Kube Ventura, wie er sagte, bereits seit zwei Jahren arbeitet, wobei das Konzept der Ausstellung durch Corona beziehungsweise den ersten Lockdown einen ordentlichen Schub bekommen habe. Das Zeitempfinden habe sich in dieser Zeit stark verändert. Mit dem Ergebnis, dass man heute nicht richtig wisse, ob die Zeit im Lockdown nun eigentlich schnell oder langsam verging. Was damit zu tun habe, »dass für die einen großer Stress ausbrach, für die anderen die große Langeweile«.

Im Spendhaus ist ab Mitte Mai die Kunst von Strawalde zu sehen.
Im Spendhaus ist ab Mitte Mai die Kunst von Strawalde zu sehen. FOTO: PETER BADEL
Im Spendhaus ist ab Mitte Mai die Kunst von Strawalde zu sehen. FOTO: PETER BADEL

Als Beispiel für eine künstlerische Position im größeren Kontext nannte Kube Ventura die Leipziger Fotografin Manuela Kasemir, die in der Serie »Afraid of Death« seit 2007 sich immer wieder selbst vor einem Spiegel fotografiert. Man sieht ihren nackten Rücken. Sie hält einen Faden in der Hand, der den Schriftzug »I am afraid of death« zeigt. Beim Betrachten der Bilder, die über mehrere Jahre entstehen, bekomme man »ein Gefühl davon, was es bedeuten muss, durch dieses Leben zu schreiten«, so der Kurator.

Die Ausstellung »Kunst Reutlingen 2022« wird in den Wandel-Hallen vom 2. April an eine Fülle von Positionen aus Stadt und Landkreis sichtbar machen. Das Kunstmuseum und der Kunstverein Reutlingen kooperieren dabei in bewährter Weise. Eine Jury wird die gezeigten Werke auswählen.

Unter dem Titel »Hunger nach Bildern« steht die Strawalde-Retrospektive im Spendhaus, die auch abstrakte neue Arbeiten beinhalten soll. Die Kuratorinnen Ina Dinter und Anna Nerobova wollen unter anderem Strawaldes Spiel mit der Kunst anschaulich machen, seine Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte, mit Alten und Neuen Meistern, etwa bei der Übermalung von Kunstpostkarten. Zur Ausstellung finden Vorführungen der Filme Jürgen Böttchers in Kooperation mit dem Reutlinger Programmkino Kamino statt, wie Ina Dinter ankündigte.

Beschäftigung mit Zweisamkeit

Ebenfalls im Spendhaus wird man ab Juni HAP Grieshabers Liebespaaren begegnen können und damit seiner lebenslangen Beschäftigung mit der Zweisamkeit. Nicht nur einmal kommt es vor, dass bei ihm die Liebenden mit der Landschaft verschmelzen.

Die Stipendiatin Çi g˘dem Aky füllt als Malerin eine von ihr konstruierte Form in immer neuen Varianten mit leuchtenden Farben wie ein Gefäß. Einen zentralen Monolithen bettet sie in eine gestische Gestaltung ein. Ihre Bilder leben nicht zuletzt von den Farbkontrasten.

Vera Leutloff, die an der Kunstakademie Düsseldorf Meisterschülerin von Alfonso Hüppi war, schafft in ihren Bildern Farbklangräume, deren Fusion von Formen, Bewegungsspuren und lautmalerischen Werktiteln eine fast schon synästhetische Wirkung erzeugen, wie Holger Kube Ventura findet. »Common Sense 1989–2018: 30 Jahre Künstlerbuch Almanach« kommt als Wanderausstellung nach Stationen in Jena, Dessau und Dresden nach Reutlingen. Ein vielstimmiger künstlerischer Appell an den Gemeinsinn ergibt sich aus der Publikationsreihe, für die unter anderem Hartwig Ebersbach und Herta Müller Beiträge lieferten.

Kuratiert von Rainer Lawicki, setzt im Herbst im Spendhaus eine Ausstellung Papierarbeiten des Malers Adolf Hölzel mit Werken seiner Schüler in Beziehung. Eine weitere Ausstellung ist im Dezember in den Wandel-Hallen geplant, laut Ina Dinter aber noch nicht spruchreif. (GEA)

KUNSTMUSEUM REUTLINGEN: AUSSTELLUNGEN 2022

Zeitkonzepte der Gegenwartskunst: Vom Verrinnen. 26. Februar bis 28. August, Kunstmuseum/konkret Kunst Reutlingen 2022: 2. April bis 6. Juni, Wandel-Hallen, Kunstmuseum/Galerie und Kunstverein Reutlingen Strawalde: Hunger nach Bildern. Jerg-Ratgeb-Preis 2022. 15. Mai bis 21. August, Spendhaus HAP Grieshaber: Liebespaare. Die Liebe ist ein Hemd aus Feuer. 3. Juni bis 25. September, Spendhaus Çig˘dem Aky: 18. Stipendiatin der HAP-Grieshaber-Stiftung. 2. Juli bis 23. Oktober, Wandel-Hallen, Kunstmuseum/Galerie Vera Leutloff: Farbe in Bewegung. 17. September bis 5. Februar, Kunstmuseum/konkret 30 Jahre Künstlerbuch Almanach: Common Sense 1989–2018. 29. September bis 8. Januar, Spendhaus Mit Blick auf Adolf Hölzel: Figur und Abstraktion. Sammlungsausstellung. Ab 23. Oktober, Spendhaus. (GEA) www.kunstmuseum- reutlingen.de