REUTLINGEN. Ein Jazzfestival zu organisieren, ist ein Drahtseilakt. Auf der einen Seite will man sein Stammpublikum zufriedenstellen, auf der anderen Seite neues, junges Publikum gewinnen. Dem nun vorgestellten Programm des 23. Reutlinger Jazzfrühlings im Jazzclub in der Mitte ist dieser Spagat eingeschrieben. Die zehn Konzerte von März bis Anfang Mai schlagen einen großen Bogen von klassischem Jazz zu Ausflügen in Rock, Pop, Klassik und Folk. »Wir haben versucht, das Spektrum breit aufzuziehen«, erläutert Programmchef Benjamin Himpel. Zu seinem Programmteam gehören auch Mitte-Urgestein Clemens Wittel, Rainer Löffler und neuerdings als Vertreter der jüngeren Garde der Jazzbassist Tobias Fritzen.
Was sie für den Jazzfrühling zusammengestellt haben, streift mal Avantgarde, lässt mal Skandinavisches anklingen, breitet den Stand des Modern Jazz aus und taucht in die Goldene Ära der 60er/70er ab. Mit Künstlern, die mal aus Hamburg kommen, mal aus dem Jazz-Hot-Spot New York – oder aus der schwäbischen Jazz-Metropole Stuttgart.
Benedikt Jahnel & Himpel Quartett. Den Auftakt am Samstag, 8. März, macht Mitte-Programmchef Himpel persönlich mit seinem Quartett. Wobei, wie er betont, Pianist Benedikt Jahnel aus Berlin im Vordergrund stehen soll. Dieser teilt mit Himpel, im Hauptberuf Informatik-Professor an der Reutlinger Hochschule, die Faszination für Mathematik. »Das klingt deshalb nicht mathematisch«, versichert Himpel. Stattdessen sind Bezüge zur Minimal Music, komplexe Rhythmen und lyrische Melodik versprochen.
Nordsnø Ensemble. Die größte und jüngste Combo ist am 15. März mit dem Nordsnø Ensemble am Start. Selbst ohne den Zusatzperkussionisten, der wegen erwarteter Vaterfreuden daheim bleibt, müssen noch sieben Musikerinnen und Musiker auf die Mitte-Bühne passen. Ein Mix aus skandinavischer Folklore und Jazzelementen ist angesagt, mystisch, sphärisch, liedhaft, mit Vokalistin Lotta Leitz im Zentrum. Wobei das Ensemble nicht aus Oslo kommt, sondern aus Hamburg.
Himoya. Das Quartett Himoya schlägt am 22. März die Brücke vom Jazz zur elektronischen Popmusik. Im Mittelpunkt steht Sängerin Julia Ehninger, die mit ihren drei Mitspielern zwischen Singer-Songwriter-Elementen, Vokaljazz und Synthesizerklängen vermittelt. Wobei die gemeinsam komponierten Songs von Zuneigung, Verlust oder dem täglichen Leben erzählen.
European Jazz Meeting. Die europäische Vereinigung in Jazzform wird am 29. März mit der Formation European Jazz Meeting gefeiert. Saxofonist Max Ionata, Pianist Martin Sasse, Bassist Dominik Schürmann und Drummer Joost Van Schaik haben sich zu dieser italienisch-deutsch-schweizerisch-niederländischen Combo zusammengefunden. Die hat sich klassischem Mainstream-Jazz verschrieben.
Jerry Weldon Quartet. Ein erstes Hörfenster zur New Yorker Jazzszene öffnet am 3. April Saxofonist Jerry Weldon mit seinem Quartett. Der Amerikaner lässt in seinem Spiel die grandiose Jazztradition von George Benson bis Jimmy Cobb und weiteren US-Ikonen aufleuchten, mit denen er zusammengearbeitet hat.
Ilja Tarnopolskij Quintett. Ein Jazzschlagzeuger aus Stuttgart ist mit Ilja Tarnopolskij am 5. April mit seinem Quintett da. Trotz seines jungen Alters schlägt auch Tarnopolskij Brücken zum klassischen Jazz der 60er- und 70er-Jahre, zu Bebop, Hardbop und Swing.
John Law's Re-Creations. Der britische Jazzpianist John Law ist am 12. April zu Gast. In seinem »Re-Creations«-Programm greift er mit seinem Quartett populäre Melodien aus Jazz, Pop und Rock auf und eröffnet neue Blickwinkel darauf.
Gnar Gnar Rad. Auf andere Weise experimentell wird es beim Mannheimer Quartett Gnar Gnar Rad am 19. April. Mal poppig, mal punkig, mal geräuschhaft balancieren sie zwischen Charles Mingus und Ornette Coleman. Die traditionelle Klangwelt des Jazz wird spielerisch zerlegt und neu zusammengesetzt.
Philip Weberndoerfer Quartet. Ein zweites Hörfenster nach New York öffnet am 26. April Gitarrist Philip Weberndoerfer. Mit seinem Quartett stellt er das in der US-Metropole entstandene Album »Tides« vor, also »Gezeiten«: Musik, die von Absurditäten erzählt und vom Gefühl, vom Strom des Lebens mitgezogen zu werden.
Gee Hye Lee Trio & Guests. Den Schluss macht am 3. Mai die Stuttgarter Pianistin Gee Hye Lee mit Trompeten-Jungstar Jakob Bänsch und Saxofonist Sandi Kuhn als Verstärkung. Ergänzt durch den Kusterdinger Axel Kühn am Bass und Mareike Wiening am Schlagzeug bestreitet ein wahres Defilee der Landes- und Bundespreisträger dieses Finale.
Zur Finanzierung des Festivals tragen Zuschüsse der Stadt (2.500 Euro) und voraussichtlich des Landes (erwartet werden 4.500 Euro) bei. Schüler und Studierende zahlen lediglich fünf Euro pro Konzert. Vielhörer profitieren vom »Festival-Bundle«: Wer für fünf Konzerte Tickets kauft, zahlt nur für vier. (GEA)