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Aktuell Oratorium

Rausch trifft auf hohe Kunst

Georg Friedrich Händels »Alexanderfest« zugunsten der Orgel in der Reutlinger Marienkirche.

Sängerinnen des Philharmonia Chores Reutlingen und der Betzinger Sängerschaft beim Benefizkonzert in der Marienkirche. FOTO: BER
Sängerinnen des Philharmonia Chores Reutlingen und der Betzinger Sängerschaft beim Benefizkonzert in der Marienkirche. FOTO: BERNKLAU
Sängerinnen des Philharmonia Chores Reutlingen und der Betzinger Sängerschaft beim Benefizkonzert in der Marienkirche. FOTO: BERNKLAU

REUTLINGEN. Mit Händels heidnisch-frommem »Alexanderfest« Gutes tun – besser lässt sich ein runder Musikergeburtstag, der Sechzigste, eigentlich gar nicht feiern. Denn das sehr gut besuchte Benefizkonzert am Sonntagabend sollte auch noch zur Renovierung der Rieger-Orgel in der Reutlinger Marienkirche beitragen. Jubilar Martin Künstner, Solo-Oboist der Württembergischen Philharmonie (WPR), führte mit seinem Philharmonia Chor und der Betzinger Sängerschaft, dem Ebinger Kammerorchester, vielen WPR-Kollegen und vier Gesangssolisten ein besonders prächtiges Juwel der Barockmusik auf.

Das Werk ist aber auch seltsam und merkwürdig, ja für Heutige doch ziemlich befremdlich. »Das Alexanderfest oder Die Macht der Musik« feiert – von Textdichter John Dryden historisch frei zur Ode hingebogen – den antiken makedonischen Welteroberer samt seiner geliebten Hetäre Thaïs und dem Gefolge in seinem Siegesrausch über Dareios und die Perser beim Gelage zu Persepolis (das hernach in Schutt und Asche versank). Und es ehrt mit der Heiligen und Märtyrerin Cäcilia gleichzeitig die christliche Patronin der Kirchenmusik, insbesondere des Chorgesangs und der Orgel.

In Händels England gehörte sein 1736 entstandenes Oratorium schon bald zum Fest-Kanon von Krone und Kirche im Jahreskreis.

Die feierlich dreiteilige Ouvertüre nahm der Jubilar – wie es dem inzwischen allmählich etablierten Geschmack entspricht – eher weich und leicht als überpointiert und pompös prunkend, dabei ganz sparsam im Vibrato.

Mit den Blockflöten gab es nach der Fuge schon einen ersten Vorgeschmack auf eine erlesene Instrumentierung, mit der Georg Friedrich Händel, oft auch im Dialog mit den Solosängern, sein ganzes Arsenal an bildstarker musikalischer Chararakterzeichnung vorzuführen gedachte: auch Fagotte und Oboen, Hörner und Trompeten, ja sogar die Pauken beim Lautmalen den Donners hatten herausragende solistische Aufgaben.

Den wichtigsten Part unter den häufig auch als Duett eingesetzten Vokalsolisten hatte der Tenor Johannes Petz, sowohl als Erzähler wie auch in den Arien-Rollen, die dem antiken Sänger und Cäcilien-Gegenspieler Timotheus zugeordnet sind. In seiner schönen Gestaltung standen ihm die Altistin Mirjam Künstner und der Bariton Matthias Bein nicht nach. Johanna Kapelari, stimmlich zwar eher ein Zerlina-Typus als ein dramatischer Sopran, ragte durch ihre fantastisch klaren Spitzentöne heraus.

Kleine Intonationstrübungen gab es bis auf den Bass bei allen Solistenpartien hin und wieder. Möglich, dass sie im Einzelfall von den Instrumentalsoli ausgelöst wurden. Das wiederum mochte womöglich durch ein heikles Raumklima bedingt gewesen sein. Beim Zwischenstimmen vor dem zweiten Teil hörte man, dass da einiges verrutscht war.

Den großen Gemeinschaftschor focht das aber nicht besonders an. Ob Fuge oder Hymne, er wirkte nicht nur in der Reinheit sicher und gut vorbereitet, sondern auch rhythmisch und bei den Einsätzen. Lediglich in der Artikulation mochte es manchmal ein paar Übertreibungen gegeben haben. Vielleicht legten die Männer beispielsweise in die militanten Siegesgesänge der enthemmten Alexander-Soldateska (»voll trunkener Wut«) ein bisschen zu viel an Stadion oder Bacchus in ihre Stimmen hinein. In diesem Oratorium der Extreme gab es aber auch wieder das Gegenteil: etwa in der »sanften Zärtlichkeit«, wie sie, von Chor und Orchester weich getragen, die Bratschen, die Blockflöten und der Tenorsolist in feinem Zusammenspiel erblühen ließen.

Sanft auch der überraschende Schluss. Nach angemessener Stille schwoll für all die tollen Leistungen und ein großartiges Gesamtkunstwerk ein langer Beifall an, dessen Gipfel gewiss auch als Geburtstagshuldigung für den Dirigenten Martin Künstner zu verstehen war. (GEA)