Die jüdische Gemeinde in Breslau blieb lange Zeit unbeachtet. Zu Unrecht, war sie doch die drittgrößte im damaligen Deutschland. 14 frühere Mitglieder erzählen ihre Lebensgeschichte in die Kamera. Sie alle sind Mitte der 1920er-Jahre im heute polnischen Wroclaw geboren.
Neuanfang in der Fremde
Während ihre Stimmen aus dem Off von der Ermordung der Eltern berichten, blicken ihre Gesichter stumm in die Kamera: ernst, traurig, einer weint sogar. Die Entkopplung von gesprochener Information und Mimik lenkt die Aufmerksamkeit auf die Affekte der Redner. »Wir werden die jüdische Rasse ausradieren«, wiederholt Mordechai Rotenberg einen Satz der Nazis. Er hat sich in sein Gehirn eingebrannt.Während die Zeitzeugen die Deportation der Breslauer Juden in Konzentrationslager beschreiben, werden Archivbilder von Hitler eingeblendet: wie er aufpeitschende Reden hält, wie die Menge ihm zujubelt. Kippbild Hitler: vermeintlicher Heiland für die Deutschen, für die Juden mordendes Monster. Einigen von ihnen gelang die Flucht, andere wurden nach Auschwitz verschleppt und später von den Alliierten befreit.
Wo viele Dokumentationen enden, geht dieser Film einen Schritt weiter und begleitet den Neuanfang der Emigranten in der Fremde. Sie wanderten aus in die USA und lehrten dort als Hochschulprofessoren, wie Walter Laqueur, Guenter Lewy und Fritz Stern. Oder sie kämpften in der israelischen Armee für die Unabhängigkeit von Palästina, wie Max Rosenberg, und betrieben, wie Eli Heymann, Landwirtschaft im sozialistischen Kibbuz.
Die detaillierte Nachzeichnung der Biografien wird den Zeitzeugen in ihrer Individualität gerecht. Jenseits aller Unterschiede jedoch sind sie in der gemeinsamen Vertreibungsgeschichte vereint zum Generationenporträt. »Viele haben es im Leben weit gebracht«, meint einer. »Weil sie neu anfangen mussten, ohne Hilfe. Es hieß: Schwimm oder stirb!« Die Generation Holocaust wirkt nicht gebrochen, sondern abgehärtet. »Hitler ist tot und ich habe ihn überlebt, als Jude«, sagt Abraham Ascher. Sein Galgenhumor hat ihn psychisch gerettet.
Jetzt, nach so langer Zeit, kehren Ascher und weitere Überlebende zurück nach Breslau zu den Erinnerungsorten ihrer Kindheit. Anita Lasker-Wallfisch besucht das Gefängnis, in dem sie nach einem gescheiterten Fluchtversuch einsaß; Wolfgang Nossen den Friedhof, wo er Zwangsarbeit leistete. Dort teilen sie ihre Erfahrungen mit einer deutsch-polnischen Jugendgruppe. Stellvertretend eröffnet sie den Spätgeborenen einen Zugang zur NS-Vergangenheit. Am Ende schlägt der Film die Brücke zur Gegenwart, zeigt Aufmärsche von nationalistischen Polen, die fremdenfeindliche Parolen skandieren.
Die Botschaft des Films ist klar: Schaut nicht weg, zeigt klare Kante gegen Rechtspopulismus! Regisseurin Kaper hat eine Mission, dafür engagiert sie sich – energiegeladen, achtsam gegenüber den Überlebenden, nahbar fürs Publikum. Mit ihrem Film wirkt sie an der Aufarbeitung der deutschen NS-Vergangenheit mit.
Inhaltlich Neues erfährt der Zuschauer zwar wenig. Die Stärken der Produktion liegen eher in der kontrastreichen Gestaltung, die der Geschichte Tempo verleiht und knapp zwei Stunden lang die Spannung aufrecht hält. Weitere Vorführungen sind geplant. Termine gibt das Kino Arsenal noch bekannt. (GEA)