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Rätselhafte Erinnerungsräume: CHC Geiselhart in der Kreissparkasse Reutlingen

Die Bilder und Skulpturen von CHC Geiselhart geben manches Rätsel auf. In seiner großen Ausstellung in der Reutlinger Kreissparkasse wird klar: Die Werke öffnen Räume der Erinnerung.

Alte Familienfotos überführt CHC Geiselhart durch digitale grafische Überarbeitung in seinen eigentümlichen Kunstkosmos.
Alte Familienfotos überführt CHC Geiselhart durch digitale grafische Überarbeitung in seinen eigentümlichen Kunstkosmos. Foto: Armin Knauer
Alte Familienfotos überführt CHC Geiselhart durch digitale grafische Überarbeitung in seinen eigentümlichen Kunstkosmos.
Foto: Armin Knauer

REUTLINGEN. Den Schlüsselsatz hob sich Bernd Storz bis zum Schluss auf in seiner Einführung in die Ausstellung von CHC Geiselhart am Freitagabend in der Kundenhalle der Kreissparkasse Reutlingen. Der Satz lautet: »Vielleicht ist es die einzige Möglichkeit, auf die Tatsache des Seins zu reagieren, indem man ihr etwas ähnlich Rätselhaftes gegenüberstellt.«

Rätselhaft sind sie in der Tat, die Malereien, Grafiken und Skulpturen des in Nehren lebenden Künstlers, der in Reutlingen aufgewachsen ist, die ersten Jahre kaum 50 Meter vom Ort der Ausstellung entfernt. Bilder, die leere Räume zeigen, merkwürdig zeitlos, mit schachbrettartig gefliestem Fußboden, bevölkert von geheimnisvollen Tier-Mensch-Objekt-Mischwesen.

Wurzeln im Biografischen

In der Ausstellung kann man nachvollziehen, welchen Hintergrund diese Rätselwelten haben. Auf der Rückseite der Stellwände findet man Werke, die tief in die Biografie des Künstlers führen. Alte Familienfotos, die Geiselhart vor dem Verschwinden seines elterlichen Hauses in der Reutlinger Lerchenstraße gerettet hat, das 2011 von der GWG abgerissen wurde. Der Künstler hat sie eingescannt und am PC mit einem digitalen Stift freihand überzeichnet: die Mutter mit den Kindern; die Mutter am Bügelbrett; die Kinder beim Turnen an einer Wäscheleinenstange. Digital konturiert, ergänzt durch rätselhafte Figuren, wie sie in seinen Malereien vorkommen.

Der Nehrener Künstler CHC Geiselhart richtet Fragen an seine Kindheit.
Der Nehrener Künstler CHC Geiselhart richtet Fragen an seine Kindheit. Foto: Armin Knauer
Der Nehrener Künstler CHC Geiselhart richtet Fragen an seine Kindheit.
Foto: Armin Knauer

Die Auseinandersetzung mit seiner Kindheit in Reutlingen ist für Geiselhart grundlegend. Ebenso wie seine Verbindung zur Aschau im Salzburgerland, wo er Teile des Jahres zusammen mit seiner Frau deren elterlichen Hof betreibt. Beide Erinnerungsstränge arbeitet er auch in Broschürenreihen auf, den »Berichten aus dem Brunnen« und den »Aschauer Geschichten«.

Zeitgebundenes wird zeitlos

Diese Erinnerungsstränge sind der Grund, aus dem Geiselhart schöpft. Ein anderer Schlüsselsatz aus Storz' Einführung bringt auf den Punkt, was da eigentlich passiert: Geiselhart überführe Momente seiner Biografie in die Zeitlosigkeit. Gelebte Momente sind nicht einfach vorüber, sondern bleiben in einem metaphysischen Sinne bestehen. Sie leben unter uns, als Erinnerung, als Prägung – und womöglich beobachten sie uns, schauen mit Skepsis oder Neugier auf unser heutiges Sein.

Viele Bilder Geiselharts öffnen bühnenartige Räume.
Viele Bilder Geiselharts öffnen bühnenartige Räume. Foto: Armin Knauer
Viele Bilder Geiselharts öffnen bühnenartige Räume.
Foto: Armin Knauer

In der Tat schauen sie uns auch in der Ausstellung an: als Wächterfiguren, die Geiselhart mit der Kettensäge aus massiven Holzstämmen gesägt hat. Farbig gefasst und geheimnisvoll sind sie Zeugen aus einer anderen Sphäre.

Bilder zum Weiterdenken

Vor diesem Hintergrund wird klar, wie die zeitlos-leeren Zimmer in Geiselharts großen Malereien gemeint sind. Den Schlüsselsatz dazu lässt beim Betrachten der Bilder der Reutlinger Komponist Veit Erdmann-Abele fallen: »Die Bilder lassen Raum offen für die Fantasie. Man kann sie weiterdenken.«

Ausstellung

Die Ausstellung mit Grafik, Skulpturen und Malerei von CHC Geiselhart ist in der Kundenhalle der Kreissparkasse Reutlingen am Reutlinger Marktplatz bis 5. September zu sehen, Montag bis Freitag 9 bis 12.30 Uhr und 13.30 bis 17 Uhr. (GEA)

Nicht zufällig zieht Geiselhart in diesen Bildern Räume »wie Guckkastenbühnen« auf, um noch einmal Storz zu zitieren. Bühnen, die in ihrer Zeit-Entrücktheit zwischen barockem Interieur und surrealer Parallelwelt bereit sind, die Erinnerungen des Betrachters aufzunehmen. Geiselharts merkwürdige Wesenheiten in diesen Bildern wirken in diesem Sinne wie eine Ahnengalerie, bereit, die Gedanken des Betrachters zu empfangen und zu bezeugen.

Geheimnisvolle Klänge »aus der Luft«: Axel Nagel bei seiner Performance am elektronischen Instrument Theremin.
Geheimnisvolle Klänge »aus der Luft«: Axel Nagel bei seiner Performance am elektronischen Instrument Theremin. Foto: Armin Knauer
Geheimnisvolle Klänge »aus der Luft«: Axel Nagel bei seiner Performance am elektronischen Instrument Theremin.
Foto: Armin Knauer

In einer Reihe kleiner Bilder macht Geiselhart das sogar selbst vor. Indem er in diese »Schwarzbachräume«, wie er sie nennt, eigene Erinnerungsbilder projiziert. In den Grafiken seiner Porträtserie wiederum holt er Persönlichkeiten, mit denen er eigene Lebensmomente verbindet, in jene Sphäre entrückter Zeitlosigkeit. Den Liedermacher Thomas Felder sieht man da, den Schriftsteller Peter Härtling, die ehemalige Leiterin des Reutlinger Kunstmuseums Beate Thurow.

Klänge vom Theremin

Bei der Vernissage harmonierten entrückte Klänge mit Geiselharts Prinzip des Übergangs, des »Transitus«, wie er es nennt, vom zeitgebundenen Leben in die Sphäre der Zeitlosigkeit. Axel Nagel entlockte dem bereits 1919 erfundenen elektronischen Instrument Theremin entrückte Schwingungen mit Bewegungen seiner Hände in der Luft. Das »Aquarium« aus dem »Karneval der Tiere« von Camille Saint-Saëns erklang so, das narkotische »Morphium« von Mischa Spoilansky. Schließlich vereinigten sich Nagel und Geiselhart zu einer gemeinsamen Performance. Zum rätselhaftem Summen des Theremins verlas Geiselhart Fragen, die er an seine eigene Kindheit richtete. Es sind die Fragen, die Bleiben. Und das Rätselhafte eines Seins, das sich im Rätselhaften von Geiselharts Kunst spiegelt. (GEA)