TÜBINGEN. In Tübingen tagte die Schriftstellervereinigung PEN für eine Woche, öffnete sich dabei nach außen, hielt ihre Mitgliederversammlung und machte Literatur zugleich erlebbar. Der Tübinger Auftritt des PEN soll zum Modell für spätere Auftritte einer Institution werden, die sich vor einem Jahr zerstritt, seither in zwei autarke Gruppen zerfallen ist, um einen Neubeginn ringt.
José F. A. Oliver, der neue Präsident des PEN-Zentrums Deutschland, zu Hause im Schwarzwald, will die Literatur zu den Menschen bringen – und setzt dabei auch auf regionale Autoren. Ein rundes Dutzend Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus Tübingen und seinem Umfeld, bis hin nach Ulm, nahmen an der Tagung teil; rund 130 PEN-Mitglieder waren insgesamt nach Tübingen gekommen.
Überfülle an Heimat
Am vorletzten Tag der Tagung lasen die regionalen Autoren in den Räumen des Tübinger Weltethos-Instituts, präsentierte sich eine Literaturszene im besten Einvernehmen und mit inhaltlicher Breite. Zu Gast waren Silke Knäpper, Dagmar Petrick, Walle Sayer, Barbara Smitmans-Vadja, Tina Stroheker, Eva Christina Zeller und Joachim Zelter; die Moderation der Lesung übernahm der Tübinger Verleger Hubert Klöpfer. Die Autorinnen, Autoren lasen – in unterschiedlicher Tonlage, mal schnell und kurz, mal länger, nachdenklich, mal ruhig und in sich gekehrt, mal ganz der Welt zugewandt und engagiert.
Dagmar Petrick beispielsweise, geboren in Ludwigsburg, erzählte von Nelson Mandela, dem einst berühmtesten Gefangenen der Welt, einem, dessen Worte verboten waren, davon, wie sie versuchte, Mandelas Arbeit, seine Ideale Kindern nahe zu bringen – bedeutsam für eine Vereinigung wie den PEN, der sich für die Freiheit des Wortes einsetzt.
Walle Sayer, der in Horb wohnt, vor Jahrzehnten eine Lehre als Bankkaufmann in Tübingen absolvierte und nun in dieser Stadt an jeder Ecke seinem jüngeren Ich begegnet, las aus der jüngsten Sammlung seiner dichten Prosagedichte, melodischer Ton, eindringlich: »Zurückführen nach dorthin, wo wir noch nie waren, wo es uns noch nicht gab, wo wir sein werden.«
Silke Knäpper las aus »Hofkind«, einem Roman, der von Freiburg erzählt zu Beginn der 1990er-Jahre, von einer Reise zu den Großeltern – eine besinnliche Erzählung der Erinnerungen: »Großmutter empfing uns auf dem kleinen Bahnsteig in Herrenberg. Herrenberg – der Name hörte sich vornehm an. Ich schwitze unter dem hellen Blumenkleid, das hatte meine Mutter genäht. Damit du hübsch aussiehst, das hatte sie gesagt.«
Tina Stroheker freut sich über die Überfülle an Heimat, die sie bei dieser Tagung antrifft – sie denkt an Walter Jens, der zu einer Verteidigung von Kunst, Traum und Fantasie aufforderte, und liest kurze Texte, über Bücher auch: »Sind nicht Bücher die einzigen Gegenstände, ohne die ich nie leben wollte? Auf einem Jugendfoto sitze ich, ein Buch in der Hand, vor dem ersten Bücherregal.«
Eva Christina Zeller, bekannt als Lyrikerin, las zuvor aus der autofiktionalen Prosa, die sie in ihrem Band »Unterm Teppich« versammelte – genau beobachtete Szenen, die wiederum in die Vergangenheit der Region führen, zur Mutter, die niemals einen Führerschein machte.
Gedanken über Paul Klee
Barbara Smitmans-Vajda las Betrachtungen zu Bildern Paul Klees – Gedanken über das Spätwerk eines Malers, der von den Nationalsozialisten verfolgt wurde, den Mut aber nicht verlor: »Flucht oder Reise, vielleicht auch nur wandern, über die Grenze hinaus.«
Und Joachim Zelter, Autor vieler gerühmter und absurder Romane, die Tübingen, das Radfahren oder auch das literarische Leben zugespitzt schildern, las knapp, mit fast erschrockenem Ausdruck einen Romanauszug, der die Nöte eines angehenden Schriftstellers schildert. »Mein Rat an alle Schriftsteller, die ihre Manuskripte an Verlage zu schicken beginnen: Der Begleitbrief sollte kurz sein.« So kurz, dass zuletzt eigentlich nichts mehr übrig bleiben kann, außer: »Anbei ein Text.«
Manuskripte, erfährt man da nebenbei, sind Jahreszeitenerscheinungen, und Verleger, so muss es wohl sein, sitzen in ihren Stuben und erwehren sich des Ansturms mit einer Fliegenklatsche: »Aufgebracht, überarbeitet und zum Äußersten gereizt.« (GEA)

