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Prix-Premiere-Finalist Anthony Passeron beim Talk im ICFA Tübingen

Anthony Passeron ist einer von drei Finalisten des Literaturpreises »Prix Premiere«. Mit seiner Übersetzerin Claudia Marquardt war er zu Gast im Institut Culturel Franco-Allemand Tübingen (ICFA). Der Erfolg seiner Familienaufarbeitung »Die Schlafenden« hat ihn überrascht.

Sah sich selbst anfangs gar nicht als Autor: Anthony Passeron im Institut Culturel in Tübingen.
Sah sich selbst anfangs gar nicht als Autor: Anthony Passeron im Institut Culturel in Tübingen. Foto: Armin Knauer
Sah sich selbst anfangs gar nicht als Autor: Anthony Passeron im Institut Culturel in Tübingen.
Foto: Armin Knauer

TÜBINGEN. Eigentlich wollte er sich nur die traumatische Geschichte seiner Familie von der Seele schreiben, der im Hinterland von Nizza aufgewachsene Franzose Anthony Passeron. Jene Geschichte, über die in seinem Elternhaus bleiernes Schweigen herrschte: Die seines Onkels Désiré, der als junger Mann dem Heroin verfiel, sich an einer geteilten Spritze Aids holte und daran starb. Genau wie seine ebenfalls abhängige Frau Brigitte. Die, bereits infiziert, eine Tochter bekam, Émilie, die ihrerseits das Virus in sich trug.

Eigentlich wollte Passeron also nur dieses Schweigen durchbrechen, als er fünf Jahre recherchierte neben seinem Job als Gymnasiallehrer. Aber nun sitzt er da, am Donnerstagabend, im Institut Culturel Franco-Allemand in Tübingen (ICFA), und liest aus seinem Buch »Die Schlafenden«; seine Übersetzerin Claudia Marquardt hat er mitgebracht; ICFA-Kulturreferentin Manon Boutté moderiert das Ganze. Passeron berichtet, wie ihn der Erfolg seines Buchs überrollt hat. »Ich war kein Autor, als ich anfing«, erzählt er auf Französisch, was Andrea Le Lan wunderbar lebendig in Deutsch verwandelt. Aids-Forscher, die er befragen wollte, hätten auf seine Mails nicht geantwortet. Nicht einmal einen Titel habe er für sein Werk gehabt. »Ein Titel, das war etwas für Leute, die einen Verlag hatten. Etwas für Reiche.«

Diskussion über eine fesselnde Familien-Aufarbeitung: (von links)  Dolmetscherin Andrea Le Lan, Anthony Passeron, Claudia Marqua
Diskussion über eine fesselnde Familien-Aufarbeitung: (von links) Dolmetscherin Andrea Le Lan, Anthony Passeron, Claudia Marquardt und ICFA-Kulturreferentin Manon Boutté. Foto: Armin Knauer
Diskussion über eine fesselnde Familien-Aufarbeitung: (von links) Dolmetscherin Andrea Le Lan, Anthony Passeron, Claudia Marquardt und ICFA-Kulturreferentin Manon Boutté.
Foto: Armin Knauer

Aber dann hatte er plötzlich einen Verlag, hatte das Buch einen Titel – und es holte Preis um Preis. Inzwischen ist es in 16 Sprachen übersetzt, was den bescheidenen Franzosen mit dem leisen Humor fassungslos macht. Auch ins Finale des Prix Premiere hat es Passeron zusammen mit seiner Übersetzerin geschafft. Ein Preis, den das ICFA Tübingen mit dem Institut Français Berlin auslobt für Bücher von Autoren, die zum ersten Mal ins Deutsche übersetzt werden. Neben Raphaëlle Red (»Adikou«) und Lucie Rico (»Die Ballade vom vakuumverpackten Hähnchen«) steht sein Buch nun für die Leser zur Online-Abstimmung bereit. Wer gewinnt, bekommt am 27. März auf der Buchmesse Leipzig den Preis und 2.000 Euro Preisgeld.

Familie und Wissenschaft

Im Buch wechseln Kapitel über die Familientragödie um Onkel Désiré mit solchen über die Entdeckung des Aids-Virus und die Erforschung von Gegenmitteln. Woran eine Gruppe französischer Wissenschaftler großen Anteil hatte. Er habe den Stoff nur so in eine Form bringen können, erklärt Passeron.

Prix Premiere

Über die drei Finalisten des Prix Premiere kann das Publikum bis 15. Februar abstimmen. Zur Auswahl stehen Anthony Passeron und Übersetzerin Claudia Marquardt mit "Die Schlafenden" (Piper Verlag), Raphaëlle Red und Übersetzerin Patricia Klobusiczky mit "Adikou" (Rowohlt) sowie Lucie Rico und Milena Adam mit "Die Ballade vom vakuumverpackten Hähnchen" (Matthes & Seitz). Verliehen wird der Preis am 27. März auf der Leipziger Buchmesse. (GEA)
https://www.institutfrancais.de/de/deutschland/kultur/buch-ideen/prix-premiere#/

Übersetzerin Marquardt erzählt, sie habe der leise, sachliche, immer mitfühlende Ton des Buches sehr angesprochen. Gerade der zweite Teil, in dem das Schicksal der infizierten Tochter Émilie in den Vordergrund rückt, habe sie enorm aufgewühlt. Die Herausforderung sei es gewesen, den besonderen Ton des Buches zu treffen: Unaufdringlich, leise, aber immer von einer erzählerischen Magie getragen. Auch in den Teilen, in denen die Entwicklung der Aids-Forschung referiert wird. Was sich wie ein Wissenschaftskrimi liest. Und was im Wechsel mit der Familiengeschichte zu einem Wettlauf mit der Zeit wird. Ist der medizinische Fortschritt schnell genug, um zumindest Émilie zu retten?

Ungewohnte Aufmerksamkeit

Der Gymnasiallehrerjob ist für Passeron vorerst Geschichte. An sein Dasein als reisender Autor muss er sich erst noch gewöhnen. Dass das Publikum im ICFA ihm freiwillig zuhört, im Gegensatz zu seinen Schülern, freut ihn. Einen Rückkehr in den Schuldienst hat der Vater einer kleinen Tochter vorerst nicht geplant. »Es sei denn, irgendwann ist der Kühlschrank leer.« (GEA)
www.institutfrancais.de/de/deutschland/kultur/buch-ideen/prix-premiere#