Ben ist Asperger-Autist und den Demütigungen seiner Mitschüler ausgesetzt. »Krieg, Krieg, Krieg« nennt er die Zeit vor und nach dem Unterricht. Selbst ernannte Freunde verhöhnen ihn als »Marsmensch« oder »Frankenstein«. Da hilft es nicht, dass sein Vater meint, dass für Ben, weil er im Grunde doch »schlau ist«, eine »normale Schule« genau das Richtige ist. Seine Mutter versichert ihm, dass wenn irgendetwas ist, er jederzeit anrufen kann.
Nur wenn Ben sich online in Rollenspiel-Welten begibt (»ich bin auf Level 80, das ist ziemlich viel«), fühlt er sich stark und respektiert. Sein Avatar kämpft Seite an Seite mit Scarlite, einer Heilerin, mit der er sich jeden Tag zum Game verabredet. In Spielen, so sagt er sich, »kannst du sein, wer oder was du willst«. Im echten Leben dagegen sieht er sich als »Mensch, die Null, das Nichts«.
Als sich die Lage zuspitzt – den Alltag zu meistern überfordert Ben oft genug – bietet ihm seine Spielgefährtin mit dem Game-Namen Scarlite auch im wirklichen Leben ihre Hilfe an. Begegnet sind sich beide bislang noch nicht. Jetzt möchte sie Ben am Bahnhof treffen, wobei sie nicht ahnt, dass für ihn jeder Weg, den er nicht schon viele Male gegangen ist, eine Herausforderung ist.
Und dann sind da noch Bogaert und Desmet, deren Mobbing-Attacken immer enthemmter werden. Ein Video von Ben mit heruntergelassener Hose erscheint im Internet. Die Mitschüler schnappen sich Bens Smartphone und zwingen ihn, Ecstasy zu schlucken. Auf eine kurze High-Phase folgen der Absturz und der Wunsch, »kaputtzugehen«.
Beeindruckend intensiv
Die auf einem realen Fall basierende Theater- und Romanvorlage – ein 17-jähriger, leicht autistischer Junge in Gent wurde von Mitschülern in den Selbstmord getrieben – wurde 2007 unter dem Titel »Ben X« von Nic Balthazar in Belgien verfilmt und mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Das Theater an der Glocksee in Hannover findet in der Fassung, die am Donnerstag beim Solo-Festival Monospektakel des Tonne-Theaters zu sehen war, packende Bilder für das menschliche Drama. In der Inszenierung von Karin Drechsel wird der Stress, den Ben empfindet, wenn er allein schon seinen Weg durch den Straßenverkehr sucht, durch projizierte Bilderfluten und akustisch verdichteten Lärm geradezu schmerzhaft spürbar.Menschen, die es gut mit Ben meinen (Eltern, ein Lehrer, ein Psychologe), und seine Peiniger kommen in Filmprojektionen zu Wort. Alle Rollen spielt Jonas Vietzke – beeindruckend intensiv und wandlungsfähig. Das Stück funktioniert gleichermaßen als Porträt wie als Milieustudie, erzählt von Flucht in künstliche Welten und Entfremdung, über einen utopischen Dreh, den die Geschichte am Ende findet, aber auch von Selbstbehauptung. Das Publikum in der Planie 22 feierte Jonas Vietzke für seine Darstellung mit jubelndem Applaus. (GEA)