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Poesie gegen Populismus: Sarah Bosetti im franz.K in Reutlingen

Sarah Bosetti macht aus »Wir gegen Die« Gedichte. Und empfiehlt im franz.K, zur Bekämpfung des Populismus dessen Methoden zu übernehmen.

Autorin Sarah Bosetti verarbeitet Populismus im franz.K zu Poesie.
Autorin Sarah Bosetti verarbeitet Populismus im franz.K zu Poesie. Foto: Steffen Becker
Autorin Sarah Bosetti verarbeitet Populismus im franz.K zu Poesie.
Foto: Steffen Becker

REUTLINGEN. Das Tempolimit – ein Thema, das sich wunderbar eignet für eine Abhandlung über Populismus. Sarah Bosetti versucht es mit einem Zitat von Bald-Ex-Verkehrsminister Volker Wissing. Der hatte es seinerzeit mit dem Volkswillen versucht. Für Tempo 100 auf Autobahnen gebe es keine Mehrheit. Populisten-Move der subtilen Sorte. Die Lüge liegt im Weglassen. Für Tempo 130 nämlich gibt es seit Jahren eine klare Mehrheit (aber dafür sind dann laut Volker Wissing nicht genügend Schilder auf Lager).

Für Sarah Bosetti scheint alles klar: »Es gibt kein vernünftiges Argument gegen ein Tempolimit! Oder kann mir hier jemand eines nennen?« Im voll besetzten franz.K gehen zwei Hände hoch. Was folgt, sind 5 Minuten Lehrstunde über den Erfolg einfacher Botschaften. Aus dem Publikum – unverdächtig, rechtspopulistisch zu denken, sonst würde man kaum Geld zahlen für eine Show in einem Soziokulturzentrum – kommen die Klassiker: »Schnell fahren macht Spaß«, »nachts um vier ist doch freie Bahn«. Bosetti gibt alles, aber ihr Exkurs über gesellschaftliche Aushandlungsprozesse, das Abwägen zwischen Schutzgütern, bei denen Spaß weniger Vorrang hat als Sicherheit oder Klimaschutz, braucht deutlich mehr Anlauf als der »Von denen da oben lass ich mir das Autofahren nicht vermiesen«-Klopper.

Gottschalk und das Nachdenken

Den dahinter stehenden Mechanismus seziert sie an anderer Stelle – an Thomas Gottschalk. Der sei sicher kein schlechter Kerl, beschwert sich aber, dass er mit 74 (!) nun nachdenken müsse, bevor er was sage. Weil: Cancel Culture. Bosetti dichtet über ihn: »Was ist das nur für eine Welt, in der nicht du allein bestimmst, was andere verletzen darf (...) Im Innersten bist du doch bunt und couragiert. Nur auf dem Weg vom Herz zum Mund – niemand weiß, was da passiert.« Ihr Urteil: Empathiefaulheit.

Man muss kein Monster sein, um auf populistische Stereotype anzuspringen. Die eigenen Bedürfnisse über alles stellen, reicht schon – und das liegt in der menschlichen Natur. Der Titel des Programms bringt es auf den Punkt: »Wer Angst hat, soll zu Hause bleiben«, war ein beliebter Punkt gegen jede Form von Corona-Schutzmaßnahmen. Den brachten auch weniger (quartals)-irre Menschen als Zitatgeber Wolfgang Kubicki nur zu gerne an.

Mit den Methoden des Gegners

Nur was hilft gegen all das? Bosettis formaler Ansatz »mit Poesie gegen Populismus« entlarvt und amüsiert das Publikum. Aber das findet die AfD ja eh schon schrecklich – der größte Applaus des Abends geht an den Verfassungsschutz. Inhaltlich präsentiert sie einen Weg, der nicht frei ist von Zynismus. Aber das passt ja in die Zeit: Man muss die populistische Logik und Methode übernehmen. Ihr kommendes Programm nennt sie »make democracy great again« – wenn der Spruch für Trump funktioniert hat, dann vielleicht ja auch gegen seine Apologeten.

Im franz.K wendet sie in diesem Sinne auch die Stammeslogik »wir gegen die« gegen Super-Reiche an. Wenn Springer und Merz es schaffen, das Bürgergeld als Schmarotzerlohn zu brandmarken, müsste es doch auch möglich sein, sich über Ausbeutung durch Reichtum zu empören. Schritt 1: Das Totschlag-Argument der Gegenseite ins Leere laufen zu lassen. »Ja, wir brauchen Neiddebatten«, sagt Bosetti. Jede politische Entscheidung über die Verteilung von Ressourcen sei ja nichts anderes: eine Debatte darüber, wer wie viel bekommt vom Kuchen. Schritt 2: Eliten-Bashing. Wenn das Dutzend reichste Familien in der Lage ist, mit ihren Vermögen die Kinderarmut in Deutschland über Jahrzehnte komplett wegzufinanzieren (und trotzdem Milliarden behalten könnte), dann dürfe man die ja schon mal diskriminieren. »Machen wir mit anderen Minderheiten ja auch, warum also nicht mit diesen Clanstrukturen.« Viel Applaus – auch im franz.K sind einfache Antworten populär. (GEA)