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Aktuell Interview

Pianistin Sophie Pacini gibt vor ihrem Konzert in Bad Urach Einblicke

Sie wollte nie ein Wunderkind sein und sie liebt die Nahbarkeit: Im Gespräch gibt die 32-jährige Münchnerin Sophie Pacini Einblick in ihr Dasein als Pianistin. Bis hin zu Kleiderfragen.

Sophie Pacini tritt bei ihren Konzerten gern in Kontakt mit dem Publikum.
Sophie Pacini tritt bei ihren Konzerten gern in Kontakt mit dem Publikum. Foto: A2 Photography
Sophie Pacini tritt bei ihren Konzerten gern in Kontakt mit dem Publikum.
Foto: A2 Photography

MÜNCHEN/BAD URACH. Sophie Pacini erscheint gut gelaunt zum Interviewtermin. Die 32-jährige Münchnerin ist eine internationale Starpianistin, die schon mit Andrea Bocelli auf der Bühne stand, doch sie fährt mit der S-Bahn. Das macht sie so sympathisch. Ihr bezauberndes Lachen umarmt einen und ihre authentische, freche Art zieht einen in ihren Bann. Pacini wohnt in Aying bei München, wo sie sogar ihr eigenes Festival hat. Doch ihre Schulzeit war nicht leicht. Am 11. Oktober spielt Pacini in Bad Urach. Ein Gespräch über ihre Karriere, die Musik und die Liebe.

»Nach dem Konzert nehme ich mir immer Zeit für jeden«

GEA: Frau Pacini, Sie sind eine Berühmtheit in der Klassikszene, kommen aber mit der S-Bahn zum Interview. Sind Sie ein Star zum Anfassen?

Sophie Pacini: Das beschreibt mich ganz gut, ich möchte nahbar sein. Das versuche ich auch durch meine Moderationen in den Konzerten zu vermitteln. Ich will erklären, was mich mit den Stücken verbindet – Gefühle, Farben und Erinnerungen. Nach dem Konzert nehme ich mir immer Zeit für jeden. Ich liebe die Nahbarkeit.

War das schon in Ihrer Kindheit so?

Pacini: Ja. Ich habe keine Musiker-Eltern. Schon früh durfte ich in meiner Verwandtschaft und im Freundeskreis erklären, warum ich diesen Beruf eigentlich ergreifen möchte und was ich so toll daran finde. Ich wollte nie jemanden zurücklassen, den ich nicht mit meiner Begeisterung anstecken konnte, einfach wegen der Emotionen, die ich durch die Musik teilen kann. Es war für mich nie dieses Elitäre, das man oft mit Klassik verbindet. Ich wollte immer ganz nah am Puls eines jeden Menschen sein und Geschichten erzählen.

»Ich wollte immer ein Haus mit Holzbalkon«

Sie wirken sehr geerdet, wohnen nicht in L.A. oder New York, sondern in Aying bei München. Auch das ist ungewöhnlich, aber typisch für Sie?

Pacini: Ganz genau. Ich wohne in einem schönen, alten Landhaus. Das wollte ich schon als Kind – ich wollte immer ein Haus mit Holzbalkon. Ich lebe dort ganz alleine, das war nicht so geplant. Während Corona habe ich mich von meinem Ex getrennt, und es ist gar nicht so leicht, in meiner öffentlichen Sichtbarkeit jemanden zu finden, der mich nicht nur als Pianistin, sondern auch als Mensch sieht.

Sie haben einmal zusammen mit Andrea Bocelli auf der Bühne ein Lied performt. Damals trugen Sie ein Kleid, das Sie für 70 Euro auf Ebay gekauft hatten. Das ist schon sehr außergewöhnlich.

Pacini: Das Kleid kam gut an, und ich fand das super, weil ich es auch mit Authentizität getragen habe. Mir ist es völlig egal, wo es herkommt. Und ich fand es gerade nett, allen zu erzählen, dass das Kleid von einem jungen Münchner Designer ist. Das hat mir jeder geglaubt.

»Ich fahre gern an den Schliersee«

Was ist für Sie Luxus?

Pacini: Für mich ist Luxus, Zeit zu haben und Dinge zu machen, die ich gerne tue. Manchmal fahre ich einfach an den Schliersee, und das mache ich am liebsten mit der Bahn, weil das nur 20 Minuten statt 40 Minuten mit dem Auto dauert. Außerdem sehe ich dann nicht die ganzen gehetzten Menschen, die dorthin fahren, weil sie es müssen. Luxus ist für mich auch, andere Menschen mit meiner Musik glücklich zu machen und in ihre glänzenden Augen zu sehen. Zuletzt waren in Saarbrücken viele junge Menschen im Publikum, und ein 12-jähriges Mädchen sagte hinterher zu mir, dass sie mit dem Klavierspielen anfangen möchte. Sie fand meinen Stil ganz toll, weil ich nicht wie der Megastar wirkte. Mein Dutt war etwas unordentlich. Ihre Freundin wollte dann ein Foto mit mir machen und fragte mich: »Darf ich mal das Kleid anfassen?« Freunde zu treffen, ist auch Luxus für mich. Ich schließe auch viele Freundschaften, wenn ich unterwegs bin. Es ist mir wichtig, Verbindungen zu knüpfen und nicht nur oben auf der Bühne zu stehen.

Sie sind eines der größten Talente Ihrer Generation und haben mit acht Jahren schon in den bedeutendsten Konzertsälen Klavier gespielt. Hatten Sie keine Kindheit?

Pacini: Ich hatte eine andere Kindheit. Ich fand keinen Anschluss in der Schule, wurde dort gemobbt und mit Mülltüten beworfen. Fotos von mir wurden zerkratzt. Das habe ich alles durchgemacht. Aber meine Eltern haben mein Talent entdeckt, als ich mit fünf Jahren begonnen habe, Klavier zu spielen. Mein Vater nahm mich einmal zu einem Tag der offenen Tür mit, und dort habe ich dieses elegante, wunderschöne Instrument gesehen - meinen schwarzen Panther –, und von da an wusste ich, dass ich am Klavier sitzen will. Mein Vater hat anderthalb Jahre später mit dem Klavierspielen aufgehört, aber meine Eltern waren immer dabei. Ich erinnere mich an einen Klavierwettbewerb, bei dem die kleinen Mädchen im Tütü und die Jungs im Kinderfrack kamen, nur ich hatte ganz normale Klamotten an. Ich dachte nur: »Wo bin ich hier gelandet?« Als ich dann das Finale im Herkulessaal in München gespielt habe, da hat sich für mich diese Verbindung zum Klavier hergestellt. Das Ambiente war abschreckend, aber durch die Wärme des Instruments konnte ich mich ausdrücken. Auch heute fragen mich meine Eltern noch: »War das damals zu viel? Wie war deine Kindheit?« Ich konnte viele schöne Erinnerungen sammeln. Es gibt sehr viele in meiner Branche, die das nicht sagen können.

»Ich war ein sehr burschikoser Typ und bin es immer noch«

Warum wurden Sie in der Schule mit Müllsäcken beworfen?

Pacini: Weil ich schon sehr früh an eine Hochschule in Salzburg kam. Es war ein Institut für Hochbegabte, ein Begriff, den ich ungern benutze. Ich wollte nie ein Wunderkind sein. Meistens verpflichtet das dazu, immer besonders zu sein. Ständig beobachtet zu werden, gefiel mir überhaupt nicht. Ich habe mich in der Schule auch mal geprügelt, ich war ein sehr burschikoser Typ und bin es immer noch. Ich war in einer Spezialklasse und wir haben zehn Meisterkurse im Jahr gemacht - an Orten, wo man nur Klavier spielen kann. Das war immer wie ein Trainingslager für Sportler. In dieser Zeit war ich nicht in der Schule, musste aber einen guten Notenschnitt halten, um von der Schulpflicht befreit zu sein. Die anderen Schüler dachten, ich mache mir ein leichtes Leben. Als ich zurück in die Klasse kam, erwartete mich blanker Hass. Das änderte sich erst, als ich 15 wurde.

Sie haben schon den Klassik-Echo bekommen. Wenn man den bekommt, dann hat man es geschafft. Wie haben Sie sich gefühlt?

Pacini: Ich habe den Hauptpreis »Newcomer des Jahres« mit einem Independent-Label gewonnen. Ich war also noch nicht bei einem Major unter Vertrag. Ich wollte aber keine Werke von Chopin spielen, also nach dem Motto: Noch eine junge Frau mit langen, schwarzen Haaren, die Klaviermusik aufnimmt. Das ist ja überhaupt nicht spannend. Und die große Martha Argerich meinte dann zu mir: »Sophie, bitte mach das.« Ich wollte dann aber meinen Chopin spielen - hart, kantig und kontrastreich. Da geht es ans Eingemachte. Beim letzten Ton habe ich in dem Aufnahmesaal geweint, weil ich so leer war. Aber ich habe daran geglaubt. Und plötzlich gewinne ich den Echo und alle Majors wollten mich unter Vertrag nehmen. Und ich hatte an dem Abend wieder kein Designerkleid an. Das Kleid war gelb. Gelbes Kleid, roter Teppich - das fetzt.

»Martha Argerich war und ist mein Idol«

Martha Argerich ist eine gute Freundin geworden. Was ist das Besondere an dieser Freundschaft?

Pacini: Zum einen, dass zwischen uns 50 Jahre liegen. Und wenn man uns zusammen sieht, wirkt es wie ein geschwisterliches Verhältnis. Sie hat jedoch allein schon wegen ihres großen Erfahrungsschatzes auch eine Vorbildfunktion für mich. Wenn wir zusammen auf der Bühne stehen, dann ist das einfach besonders. Die Probe für unser erstes Konzert dauerte nur 50 Minuten. Es hat einfach zwischen uns gefunkt, auch musikalisch. Wir sind total kompatibel auf der Bühne. Sie fragt mich oft um Rat und dann ist mein Mund vor Staunen wie zugeklebt. Sie war und ist mein Idol.

Seit 2015 haben Sie über 400 Konzerte gespielt. Eins davon war in einer Kfz-Werkstatt. Das ist so verrückt wie das Ebay-Kleid.

Pacini: (lacht laut) Das stimmt. Ich hatte einen Overall gefunden, der wie ein Blaumann aussah. Kein Witz. Ich trug dazu Sneaker. In der Werkstatt standen viele Yamaha-Motorräder herum. Und so ein Klavier hat auch viele PS unter der Haube. Ich habe Stücke ausgewählt, um das zu beweisen. Ich gehe gerne ans Limit. Es waren an dem Tag ausschließlich Azubis da, weil der Chef der Werkstatt das unbedingt wollte. Und es kommen immer noch viele junge Leute aus diesem Konzert zu anderen Konzerten von mir. Diese Musik funktioniert überall und jederzeit; du musst es nur zulassen.

Sie bevorzugen die ruhigen Momente. Wann gehen Sie privat bis an Ihr Limit?

Pacini: Was ich sehr genieße, ist es, auf der Terrasse zu sitzen und ein Glas Rotwein zu trinken. Dabei bin ich sehr deutsch, denn in Italien isst man etwas dazu. An meine Grenzen zu gehen bedeutet für mich, eine dreistündige Bergwanderung zu unternehmen. Ich bin noch in sehr guter körperlicher Verfassung, aber ich habe mir bald eine fünfstündige Bergtour vorgenommen. Wenn ich dann oben ankomme und meine Beine zittern, ist das für mich der Moment, an meine Grenzen zu gehen.

»Das Programmheft sollte schön gestaltet sein«

Was ist für Sie ein perfekter Klavierabend?

Pacini: Ein perfekter Klavierabend ist für mich, wenn ich vom ersten Ton an spüre, dass ich Kontakt zu meinem Publikum habe. Ich nehme wahr, wer im Publikum sitzt. Wenn ich mich auch innerlich entspannen und loslassen kann, dann ist es perfekt. Die Beleuchtung muss ebenfalls stimmen, und das Programmheft sollte schön gestaltet sein.

Nervt es Sie eigentlich, dass die Leute das Konzert fast nur noch durch das Handy verfolgen?

Pacini: Ja, bei uns wird daher gebeten, das Handy auszumachen. Sie werden fast eingesammelt, so streng ist es. Ab und zu filmt mal einer bei der Zugabe mit. Da herrscht eine andere Art von Ruhe, das finde ich toll. Was mich massiv stört, ist, dass wir ständig auf Social Media stattfinden müssen. Eine Chopin-Ballade in eine 30-Sekunden-Story zu packen, ist schlimm.

Sie sind eine großartige Künstlerin, aber Ihr Herz ist einsam. Was wünschen Sie sich?

Es tut weh, wenn ich auf Unverständnis stoße und Leute zu mir sagen: »Sophie, du bist doch ständig unter Menschen.« Ich werde nicht oft angesprochen. Eine Bühne schafft Distanz. Und auf eine Online-Dating-Plattform kann ich nicht gehen. Mein Beruf als Frau ist immer noch etwas Besonderes. Ich bin kein Jetsetter, obwohl ich das beruflich tue, lebe ich nicht so. Ich bin froh, wenn ich zwischen den Konzerten nach Hause zu meinem Perserkater Alfredo kann. Ich wünsche mir eine Familie. (GEA)