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Party im Seltsamland: Mr. Misery und Circus of Fools im Tübinger Sudhaus

Die Schwedenrocker von Mr. Misery und die Lokalmatadoren von Circus of Fools brachten hämmernde Metalrhythmen und schaurige Kostüme ins Tübinger Sudhaus. Und zeigten, dass das Zirkushafte und das Monströse wunderbar zusammenpassen.

Dem Finstermann ist nach feiern zumute: Mr.-Misery-Sänger Harley Vendetta im Tübinger Sudhaus.
Dem Finstermann ist nach feiern zumute: Mr.-Misery-Sänger Harley Vendetta im Tübinger Sudhaus. Foto: Armin Knauer
Dem Finstermann ist nach feiern zumute: Mr.-Misery-Sänger Harley Vendetta im Tübinger Sudhaus.
Foto: Armin Knauer

TÜBINGEN. »Welcome to Strangeland!«, singt in einem Song Harley Vendetta im Tübinger Sudhaus. Und ja, in einem »Seltsamland« sind wir wahrlich gelandet am Samstagabend. Das eher locker gestreute Publikum steckt zu beträchtlichen Teilen in Netzstrumpfhosen und ist weiß geschminkt. In der Pause mischt sich Tammy Keinath, die Sängerin der Vorband, unters Publikum und hat dabei noch das (kunst-)blutverschmierte Hackebeil in der Hand, das kurz zuvor bei ihrem Auftritt zum Einsatz kam. Bei den kunstvoll androgyn gestylten Menschen an Bass und Gitarre der Hauptband Mr. Misery wiederum ist ohne Genanalyse nicht zu entscheiden, ob es sich bei ihnen um Männer oder Frauen handelt.

Monströses mit Augenzwinkern

Soweit so seltsam. Und soweit so gut, denn das macht eben einen Goth-Metal-Abend aus, dass das Bizarre und Außeralltägliche und Monströse hier mal ganz offen existieren darf und Teil der Party ist. Wobei das Düstere und das Augenzwinkernde, das Abgründige und das Entrückte hier auf spielerische Weise verwoben ist. Dieses Spiel beherrschen sie beide perfekt: die Schwedenrocker von Mr. Misery und die Tübinger Lokalmatadoren von Circus of Fools.

Tammy Keinath gibt die Zombiehexe beim Auftritt von Circus of Fools im Sudhaus.
Tammy Keinath gibt die Zombiehexe beim Auftritt von Circus of Fools im Sudhaus. Foto: Armin Knauer
Tammy Keinath gibt die Zombiehexe beim Auftritt von Circus of Fools im Sudhaus.
Foto: Armin Knauer

Letztere haben mit Tim Strouken eben ihren Gründer verloren und mit Coen Strouken ein weiteres Altmitglied. Aber Circus of Fools waren immer ein fluides Projekt, und so ist auch die Show der fünf Restmitglieder eine gerade in ihrer bizarr disparaten Art stimmige Angelegenheit. Sängerin Tammy Keinath gibt mit blutverschmiertem Mieder und »Joker«-Fratze die Horrorclown-Hexe, growlt mal grabestief ins Mikro, kreischt schrille Vocals und plumpst dann unversehens in melodischen Klargesang.

Foxtrott- und Rap-Momente

Umgeben ist sie von den Gitarristen Dominik Bolter und Julian Langer, Bassist Yannick Ninkov und Schlagzeuger Simon Waidelich. Allesamt geschminkt und gewandet wie ein Zirkustrupp, den die Hölle verschlungen und als Zombies wieder ausgespuckt hat. Nun hämmern sie einen Metalsound in den Saal, dem manchmal die ganz große Konsequenz fehlt. Aber der Punkt bei Circus of Fools sind auch eher die lustigen Brüche. Mal schiebt sich ein zartmelodischer Schlagermoment ins Getöse, mal beginnt die Zombie-Oberhexe zu rappen. Dann kippt das Ganze plötzlich in einen fröhlich hüpfenden Zirkus-Foxtrott, gerade so, als hätte sich ein Rudel Skelette zum Tanztee getroffen. Wunderbar!

Bühnennebel und schaurige Kostümierung: Harley Vendetta (links) und Alex Allister von Mr. Misery im Sudhaus.
Bühnennebel und schaurige Kostümierung: Harley Vendetta (links) und Alex Allister von Mr. Misery im Sudhaus. Foto: Armin Knauer
Bühnennebel und schaurige Kostümierung: Harley Vendetta (links) und Alex Allister von Mr. Misery im Sudhaus.
Foto: Armin Knauer

Die vier von Mr. Misery zelebrieren ein ähnlich doppelbödiges Spiel zwischen Grauen und Party auf subtilere Weise. Während Sänger Harley Vendetta am Mikro den Bösen gibt und doch nicht verbergen kann, dass er am liebsten das »Fucking Publikum« am liebsten kollektiv knuddeln würde, sind seine Nebenleute an Bass und Gitarre androgyne Verführergestalten - ums aufzulösen: Alex Nine und Alex Allister sind Männer. Zu Beginn und mehrmals zwischendurch lassen die Schweden vom Band geheimnisvoll raunende Klangflächen in den Saal strömen, sakrale Chorstimmen erheben sich. In diese Feierlichkeit fährt die Band mit ihrem Metalsound, der scharf und kompakt ist und rau nach vorn gepeitscht wird von den gegrowlten oder gekreischten Vocals des Sängers.

Kindliches und Moritaten

So verweben die Schweden das Schaurige und das Heilige, das Brutale und das Kindliche zu brüllenden Moritaten. Mancher Song beginnt mit harmlosen Glockenspielklängen - und das Kindliche hallt noch nach, wenn das Metalgetöse längst losgebrochen ist. In abgründige Welten taucht man ein, Welten, in denen der Abartigste überlebt (»Survival of the Sickest«) oder der kopflose Reiter von Sleepy Hollow sein Unwesen treibt. »Seltsamländer« eben, »Strangelands«, in denen das Bizarre normal ist.

Typisch für die Band ist, dass die Refrains aus dem rauen Rhythmusbrettern in eine mitsingbare, fast poppige Melodik einbiegen. Das Abba-Gen, es schlummert in Schweden selbst noch in der Goth-Metal-Combo. Im Grunde sind die Songs darauf angelegt, dass der ganze Saal mit einstimmt. In Tübingen hat das noch nicht so richtig geklappt, dazu sind Mr. Misery, 2018 gegründet und danach von Corona ausgebremst, in Deutschland noch zu kurz auf dem Markt. Aber ihr Konzept hat Charme, die Schweden werden es reißen. Und beim nächsten Auftritt sitzt dann auch der Publikumschor. (GEA)