STUTTGART. Überraschungseffekt in der Liederhalle: Auf dem Programm steht ein Werk von Bach, aber die schroff angerissenen Töne, die die Streicher des Australian Chamber Orchestra schon im Hereinlaufen in den Mozartsaal schleudern, klingen nach etwas ganz anderem. Doch als die siebzehn Musikerinnen und Musiker alle auf der Bühne stehen (nur die Cellisten sitzen), beruhigt sich die Klanglandschaft. Und aus dem zarten Streicherschleier schält sich eine Melodiefigur – eben jenes Thema, das 1747 König Friedrich von Preußen dem alten Bach vorgab mit der Aufforderung, daraus eine dreistimmige Fuge zu improvisieren.
Bach tat's, doch Friedrich, beeindruckt, setzte einen drauf, wollte auch eine sechsstimmige Fuge hören. Da musste Bach passen, zu komplex das vom König gestellte Thema mit seinen kuriosen Intervallsprüngen und Halbtonschritten. Erst zu Hause arbeitete Bach die verlangte Fuge aus: das berühmte »Musikalische Opfer«.
Schwingendes Gewebe
Ein Stück Kontrapunkt-Artistik – aber genau so klingt es nicht, wenn die Musiker des Australian Chamber Orchestra es spielen. Sondern wie ein schwingendes Gewebe, das den Hörer in immer neue Stimmungen mitnimmt. Mal wird man von emphatischen Legatobögen getragen. Dann wieder tänzelt das Ganze in luftigen Stakkati. Die gelehrte Aufgabe verwandelt Bach in ein rhythmisch-melodisches Spiel, das Welten öffnet. Das famose Ensemble aus Australien findet dafür mit seinem mitspielenden Leiter Richard Tognietti immer neue Schattierungen.
Eigentlich lautet das Motto »Bach und Lateinamerika« beim Bachfest Stuttgart. Doch einen Abend genehmigt man sich einen Abstecher, rückt den Blick zweier Komponisten aus Russland ins Zentrum, Dmitri Schostakowitsch und Sofia Gubaidulina. Dass das nicht weit hergeholt ist, zeigt Schostakowitschs Konzert für Klavier, Streichorchester und Trompete op. 35. Gleich die erste Klavierfigur unter den Fingern von Alexander Melnikov bringt zwei gleichberechtigte Stimmen in einen Dialog. Fast wie eine Bach-Fuge.
Tragik und Slapstick
Nur bleibt es nicht dabei. Plötzlich wirbelt das Klavier alles durcheinanderwirbelt, schon finden wir uns in einem schunkelfröhlichen Schlagerkosmos wieder, über dem Trompeter Jeroen Berwaerts seine verspielten Schlenker ausbreitet. Bis die Bratschen wuchtig zur Ordnung rufen und alles auf ernste Pfade zurückkehrt.
Der junge Schostakowitsch hat nicht nur obsessiv Bach studiert, sondern auch Livemusik zu Kinoaufführungen gespielt. Witz und Tragik dicht an dicht, das liebte er – zum Entsetzen der Sowjet-Kulturverwaltung. Wie der Belgier Berwaerts an der Trompete dabei zwischen sanfter Poesie und Schlagerschunkeln wechselt, ist ein Gedicht. Das Ereignis ist jedoch, wie Melnikov an den Tasten all diese Kontraste herauskitzelt, mit Genuss die Kippstellen zelebrierend, immer die Mitmusiker im Blick.
Requiem ohne Worte
Ein freches Jugendwerk. Im zweiten Teil folgen Alterswerke mit Blick auf Bach. Keine Parodie mehr, keine Witze, Schostakowitsch hat den Stalinismus erlebt und nur knapp überlebt. Auch die Bearbeitung des Streichquartetts »Reflections on the Theme B-A-C-H« von Gubaidulina ist beklemmende Trauermusik. Im Dunkeln gespielt, mit Figuren, die sich schmerzlich in die Höhe schrauben. Ein wortloses Requiem auf den Schmerz der Welt – und ein Trauergesang auf die Komponistin, die vor wenigen Tagen gestorben ist.
Bachfest Stuttgart
Das von der Bachakademie veranstaltete Internationale Bachfest Stuttgart geht noch bis diesen Sonntag, 23. März, mit Konzerten, Vorträgen und Führungen. Im Abschlusskonzert am Sonntag um 18 Uhr in der Liederhalle (Einführung 17.20 Uhr) widmen sich die Gaechinger Cantorey und das JSB-Ensemble dem Chorwerk Georg Friedrich Händels. Solisten sind Yeree Suh, Supran, Alex potter, Altus, und Tobias Berndt, Bass. Die Leitung hat Hans-Christoph Rademann. (GEA)
www.bachfest-stuttgart.de
Es ist Bach, der mit einer Fuge Helligkeit bringt – wozu auch im Saal das Licht angeht. Ehe Schostakowitschs Kammersinfonie op. 110a erneut ein Requiem anstimmt, herb und chromatisch. Eigentlich eine Bearbeitung Rudolf Barschais von Schostakowitschs achtem Streichquartett, das dieser 1960 in Dresden im Angesicht der noch immer sichtbaren Zerstörungen schrieb. Ein Walzer bringt Momente der Hoffnung, in die mit harten Schlägen das Finale hereinbricht. Geigenklage, ein Cellolied wie aus einer anderen Welt, ehe alles in einer tieftraurigen Fuge erstirbt. Grandios, mit welcher Intensität die Australier das zelebrieren. Noch einmal braucht man Bach zur Versöhnung: mit dem langsamen Satz aus seinem Violinkonzert a-Moll BWV 1041 als Zugabe. (GEA)