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Oscar-Gewinner Edward Berger: Von Zweifeln getrieben

Oscar-Gewinner Edward Berger wendet sich mit »Konklave« den Machtspielen einer Papstwahl zu

Foto: nicht angegeben
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BERLIN. Noch vor zweieinhalb Jahren war Edward Berger (54) einer von vielen Regisseuren in Deutschland. Doch dann brachte er im September 2022 die Neuverfilmung von »Im Westen nichts Neues« nach dem Roman von Erich Maria Remarque ins Kino. Im März 2023 gab es für das Kriegsdrama vier Oscars. In seinem neuen Film »Konklave« (ab 21. November im Kino) nach dem Roman von Robert Harris beschäftigt sich Berger mit einer Papstwahl und den damit verbundenen Machtspielen verschiedener Kardinäle, die mit Stars wie Ralph Fiennes, Stanley Tucci und John Lithgow besetzt sind. Wie es scheint, bewegt sich Berger, der zuvor unter anderem Folgen für Fernsehformate wie »Deutschland 83«, »Tatort« und »Patrick Melrose« inszeniert hat, inzwischen vermehrt auf internationalem Parkett. Wir trafen den mit der Schauspielerin Nele Müller-Stöfen verheirateten Filmemacher zum Interview in Berlin.GEA: Vom Schlachtfeld in den Vatikan. Wie ist es zu dieser Reise gekommen?

Edward Berger: Produzentin Tessa Ross schlug mir dieses Projekt vor etwa sechs Jahren vor. Das Drehbuch von Peter Straughan gefiel mir sehr. Es hat eine unglaublich tiefe Seele. Mit den Zweifeln, die die Figur von Ralph Fiennes hat, konnte ich mich identifizieren.

Kennen Sie solche Zweifel, vielleicht sogar in Glaubensfragen?

Berger: Ich bin bei meiner Arbeit oft von Zweifeln getrieben. Ständig frage ich mich, ist es richtig, was ich da tue. Sollte ich lieber einen Politthriller oder einen Glaubensfilm drehen? Sollte ich lieber etwas ganz anderes machen? Früher habe ich das als Schwäche gelesen, bis ich verstanden habe, dass es vielleicht eine Stärke ist, von Zweifeln getrieben zu werden.

 

Und wie sieht es mit dem Glauben aus?

Berger: Ich denke, dass der Glaube ein wichtiger Bestandteil unserer Kultur ist. Ich gehe nicht in die Kirche, aber ohne Glauben und Religionen hätten wir keine Identität, keine Traditionen. Wir wären alle ganz schön verloren.

Welche Erkenntnisse hat Ihnen »Konklave« vor allem gebracht?

Berger: Wir haben diesen Film in Rom gedreht. Ich sah Geistliche, wie sie zur Arbeit gingen, Kaffee tranken, Zigaretten rauchten. Wir erheben sie gern auf ein Podest, als würden sie das Geheimnis des Lebens kennen. Aber es sind einfach nur Menschen wie du und ich. Selbst der Papst endet in einem Leichensack und wird hinten in der Ambulanz durchgeschüttelt. Das wollte unser Film beschreiben.

Den Segen des Papstes gab es für Ihren Film wahrscheinlich nicht. Gab es Widerstand, weil Sie auch Themen wie Kindesmissbrauch und Zölibatbruch in der Katholischen Kirche ansprechen?

Berger: Wir haben überlegt, ob wir darauf noch stärker eingehen sollten. Aber diese Themen brauchen ihren ganz eigenen Film. Bei uns geht es um machtpolitische Themen. Was passiert, wenn ein Stuhl der Macht plötzlich unbesetzt ist? Dennoch wollten wir die Eklats der Kirche benennen, sodass sie immer mitschwingen.

Haben Sie überhaupt in Vatikanstadt drehen dürfen?

Berger: Natürlich nicht, aber ich war im Vatikan, um mir anzusehen, wie es dort aussieht. Davon inspiriert haben wir die Sixtinische Kapelle nachgebaut. Das Hotel der Kardinäle in Casa Santa Marta sieht aber anders aus als im Film. In der Realität ist das sehr hässlich. Ich dachte, wenn wir das für viel Geld nachbauen, dann lieber in unserem thematischen Sinne. Jetzt wirkt es wie ein düsteres Gefängnis.

Hätten Sie manche Szenen nicht auch heimlich in Vatikanstadt drehen können?

Berger: Nein, das geht nicht. Ich kann nicht mit einem Team von 150 Leuten auftauchen, bis dann die Polizei kommt und ein Verbot ausspricht. Da wäre ein ganzer Drehtag kaputt. Das wäre viel zu riskant und verschwenderisch.

Gab es auf Ihren Film bereits Reaktionen vonseiten der katholischen Kirche?

Berger: »Konkave« lief gerade in den USA an, und mir wurde gesagt, ein Bischof aus Boston hätte gewettert, nicht in den Film zu gehen. Es gibt aber auch andere Stimmen. In einem Podcast mit amerikanischen Priestern sagten einige, wie großartig sie den Film fänden. Ich glaube auch, dass sich alle Kardinäle in Rom den Film ansehen werden. Abends im Bett sagen sie vielleicht: »Guck mal, einiges stimmt.« Am Ende ist es eben auch nur ein Film.

Mit »Im Westen nichts Neues« hatten Sie einen immensen Erfolg inklusive vier Oscars. Wie hat das Ihr Leben verändert?

Berger: Mein Leben hat das nicht groß verändert. Ich drehe gerade viel im Ausland, um die Filme zu machen, für die ich brenne. Ich bin also viel unterwegs und komme kaum zur Ruhe. Das ist das Einzige. Ich versuche, mich davon aber nicht ablenken zu lassen.

Sie drehen jetzt mit Colin Farrell. Kommen jetzt nur noch internationale Projekte für Sie infrage?

Berger: »Konklave« ist kein Resultat aus »Im Westen nichts Neues«. Das Projekt gab es schon vorher, und der Film mit Colin Farrell ist seit sieben Jahre in der Entwicklung. Das alles passiert nicht wegen der Oscars, sondern es brauchte viel Zeit dafür, um diese Stoffe zu entwickeln. Mir fliegen auch jetzt keine Drehbücher auf den Tisch, die mich überzeugen. Überhaupt muss man Drehbücher immer selber entwickeln, sonst hat man zu wenig zu erzählen.

Ist Berlin, wo Sie wohnen, dann noch die passende Stadt für Sie und Ihre Familie? Müssten Sie jetzt nicht nach Hollywood ziehen?

Berger: Hollywood macht mich unruhig. Ich liebe das und fahre oft und gern dorthin, aber es ist kein Ort, wo ich unbedingt leben muss. London wäre noch eine Alternative. Eigentlich ist es aber egal, wo man wohnt. Filme kann man überall sehen, und man kann schnell ins Flugzeug steigen, wenn man woanders einen Film drehen möchte.

Sie wurden in Wolfsburg geboren, sind aber kein deutscher, sondern ein österreichisch-schweizerischer Regisseur. Wie kommt das?

Berger: Meine Mutter ist Schweizerin, mein Vater Österreicher, ich habe also zwei Nationalitäten geerbt. Die deutsche Nationalität besitze ich nicht, weil ich keine deutschen Vorfahren habe. Ich könnte mich mit Sicherheit einbürgern lassen, aber warum? (GEA)

 

»Konklave«: ab 21. November im Kino