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Open Fire Festival in Reutlingen: Pop für alle und Freiheit für jeden

Der KuRT-Nachfolger »Open Fire« hat bei seiner ersten Auflage im Echaz-Hafen überzeugt. Mit guter Stimmung, vielen Jugendlichen im Einsatz und einem Akzent auf weiblich-queerem Rap.

Die kurdischstämmige Berliner Rapperin Ebow packt im Echaz-Hafen die heißen Eisen an.
Die kurdischstämmige Berliner Rapperin Ebow packt im Echaz-Hafen die heißen Eisen an. Foto: Armin Knauer
Die kurdischstämmige Berliner Rapperin Ebow packt im Echaz-Hafen die heißen Eisen an.
Foto: Armin Knauer

REUTLINGEN. Das KuRT-Festival ist Geschichte, es lebe das Open Fire Festival! Am Samstag ging der Nachfolger der beliebten Umsonst-und-draußen-Fete im Reutlinger Echaz-Hafen an den Start. Es war zum Auftakt noch nicht der ganz große Ansturm, aber am späteren Abend tummelten sich doch einige Hundert auf dem Gelände. Der jüngere Teil tanzte vor der Bühne ab, die Fraktion der elterlichen Aufsichtspersonen machte es sich im Gestühl der Biergartenecke gemütlich.

Dass die neuen Veranstalter bemüht waren, Jugendliche mit einzubinden, ist unübersehbar. Überall junge bis sehr junge Leute mit blauen Festival-T-Shirts. Mitglieder von Fridays for Future sind beteiligt, vom Christopher Street Day, vom Reutlinger Jugendforum. Auch JugendART, das Popbüro Neckar-Alb und Azubis der Stadt sind mit an Bord. Dass im Hintergrund die Profis vom franz.K die Fäden ziehen, ist auch nicht zu übersehen - weil alles perfekt läuft. Schon der Einlass wartet mit säuberlich getrennten Besucherschlangen nach »über 18«, »16 bis 18« und »unter 16« auf, wobei entsprechend betextete Verkehrsschilder Orientierung bieten. Je nach Alter geht's mit oder ohne »Muttischein« aufs Gelände - oder nur mit Begleitung.

Verkehrsschilder zeigen, wo's beim Festival für welche Altersgruppe langgeht.
Verkehrsschilder zeigen, wo's beim Festival für welche Altersgruppe langgeht. Foto: Armin Knauer
Verkehrsschilder zeigen, wo's beim Festival für welche Altersgruppe langgeht.
Foto: Armin Knauer

Dem Line-up hat das Popbüro zwei regionale Acts beschert. Was denn auch die beiden Programmpunkte sind, die zwar hohe Qualität bieten, aber nicht so recht auf ein sehr junges Publikum passen. Der kunstvoll düstere Rock der Tübinger Gruppe Yeast Machine ist ein eher eigenwilliger Opener am hellen Nachmittag. Die Jungs um Sänger Benjamin Frenzel bringen trotzdem halbwegs Stimmung ins noch recht locker gesäte Publikum. Frenzel pogt wild über die Bühne, sein dunkles Seebären-Geraune entfaltet Magie, die eingängigen Hooklines zünden und die vom Metal inspirierten Rockteile haben Biss.

Gibt gleich zum Auftakt alles: Benjamin Frenzel macht mit Yeast Machine den Opener.
Gibt gleich zum Auftakt alles: Benjamin Frenzel macht mit Yeast Machine den Opener. Foto: Armin Knauer
Gibt gleich zum Auftakt alles: Benjamin Frenzel macht mit Yeast Machine den Opener.
Foto: Armin Knauer

So richtig eins sind die Besucher aber erst mit der quirlig-fröhlichen Newcomerin Soffie. Die gebürtige Backnangerin, die mittlerweile an der Mannheimer Popakademie studiert, fegt in weißer Bluse und Patchwork-Röckchen über die Bühne und trällert zu unbeschwert blubbernden Pop-Beats Lieder, in deren sprudelnden deutschen Texten mehr Tiefgang steckt als gedacht. Es geht um toxische Beziehungen, um Selbstbehauptung, auch mal um die ganz große Liebe. Aber auch um Toleranz - nicht umsonst hat Soffie mit »Für immer Frühling« den Hit zu den Protesten gegen Rechts geliefert. Sie singt ihn zum Schluss mit Regenbogenfahne über den Schultern, ganz lässig wippende Lebenslust.

Sängerin Soffie begeistert mit fröhlichem Pop und gesellschaftskritischen Texten.
Sängerin Soffie begeistert mit fröhlichem Pop und gesellschaftskritischen Texten. Foto: Armin Knauer
Sängerin Soffie begeistert mit fröhlichem Pop und gesellschaftskritischen Texten.
Foto: Armin Knauer

Mit dem aggressiven Battle-Rap von Kitana tut sich das Publikum sichtlich schwerer. Die junge Wienerin mit bosnischen Wurzeln muss rackern, um die Meute bei der Stange zu halten. Und sie tut es, schleudert die Reimzeilen in irrem Tempo heraus. »Wo sind meine Girls?«, ruft sie. »Wo sind meine Jungs? Und wo sind die Eltern?« In ihrem Stakkato spiegelt sich die raue Welt der Großstadt: Drogen, Revierkämpfe, Selbstbehauptung. Sie teilt aus gegen die Konkurrentinnen im Rap-Business, steht für die queere Szene ein. Das hat Wumms, auch wenn es hier und da etwas angestrengt wirkt.

Die Wienerin Kitana heizt mit aggressiven Rap-Zeilen ein.
Die Wienerin Kitana heizt mit aggressiven Rap-Zeilen ein. Foto: Armin Knauer
Die Wienerin Kitana heizt mit aggressiven Rap-Zeilen ein.
Foto: Armin Knauer

Ebow, die Berliner Rapperin mit kurdischen Wurzeln, kommt da viel entspannter rüber, mit weichen, Bewegungen, mit einem Rap-Stil, der oft nahtlos in Gesang übergeht. Obwohl auch sie die großen Gesellschaftsthemen abhandelt. Ausländerfeindlichkeit, Hetze gegen Asylbewerber - in den ersten drei Tracks hat sie das schon alles abgehandelt, hat scharf dagegen gewettert - doch oft mit Humor, Ironie, Leichtigkeit. Zur Abwechslung streut sie auch mal eine reine Partynummer ein, auch sowas hat bei ihr sprachlichen Witz. Aber dann ist schon wieder die gesellschaftliche Realität dran. Sie rappt für die Freiheit nicht nur von Kurdistan, prangert Alltagsrassismus an. Unfreiwillig abgekürzt wird ihr Auftritt, weil sich für mehrere Tracks die Dateien mit den Beats nicht öffnen lassen. Den letzten Song, der ihre Botschaft dicht zusammenfasst, singt sie deshalb unbegleitet, was umso erschütternder wirkt: »Sie sagen: 'Nie wieder'«, rappt sie. »Doch es passiert wieder.«

Voll im Element: Conny Schmidt vom Duo Schmidt & Rathmann beim Festival-Ausklang.
Voll im Element: Conny Schmidt vom Duo Schmidt & Rathmann beim Festival-Ausklang. Foto: Armin Knauer
Voll im Element: Conny Schmidt vom Duo Schmidt & Rathmann beim Festival-Ausklang.
Foto: Armin Knauer

Was zum nächtlichen Ausklang das Tübinger Duo Schmidt & Rathmann bietet, ist eher Akademiker-Techno als Jugendprogramm. Und kommt trotzdem super an. Es wird ausgelassen getanzt, die elektronischen Beats, die Hannes Rathmann am Laptop anrührt, reißen mit, mal technoid, mal knarzend, immer soghaft. Was Conny Schmidt dazu an den Trommeln und Becken kreiert, ist höhere Zauberei. Sie legt sich in das Elektronik-Pulsieren, reichert es mit tänzelnden Hi-Hat-Reflexen an, schickt die Bassdrum dazwischen, lässt den Schlagzeugsound zuckend über der Elektronik schweben - und immer wieder fällt das Ganze in sphärische Momente zurück. Ein toller Ausklang für ein Festival, das nach einer Wiederauflage ruft. (GEA)