HAMBURG. Niels Frevert hat mit seinem aktuellen Album »Pseudopoesie« ein weiteres Meisterwerk veröffentlicht. Dreieinhalb Jahre nach dem umjubelten »Putzlicht« überzeugt der Pop-Chansonnier aus Hamburg wieder mit wunderschönen Popsongs. Und Frevert, Held aller Lieddichter/innen deutscher Sprache, hat sich weiterentwickelt. »Pseudopoesie« ist tanzbarer als der Vorgänger. Natürlich stellt Frevert sein jüngstes Werk auch live vor. Nach der erfolgreichen Band-Tour im Frühjahr ist er nun als Trio auf akustischer Reise. GEA: Sie kommen mit ihrer Trio-Show nach Reutlingen. Mit welchen Gedanken gehen Sie es an?
Niels Frevert: Ich bin so froh, dass ich beides kann und darf: die große Show und den intimen Rahmen. Und tatsächlich kommen manche Hörer/innen lieber zu den Akustikabenden. Wahrscheinlich, weil diese in besonderen Locations stattfinden, sie noch näher bei den Songs sind, es mehr Storytelling gibt – und mehr Geplapper von mir zwischendurch. (lacht)
Wie sehr hat es Sie geschmerzt, als die Band-Tour zum Album »Pseudopoesie« zu Ende war?
Frevert: Darf ich Konfuzius zitieren? »Leuchtende Tage. Nicht weinen, dass sie vorüber. Lächeln, dass sie gewesen.« Es war eine tolle Tour – und ja, ich wäre gerne noch weitergefahren. Aber mit fast 20 Konzerten von Flensburg bis Zürich hatten wir die Landkarte vorerst abgedeckt.
Sie lieben Melancholie und Poesie. Warum heißt Ihr aktuelles Album dann »Pseudopoesie«?
Frevert: Es ist ein schönes Wort, klingt nicht nur gut, sondern sieht geschrieben auch noch gut aus. Es geht sicher um die Zweifel des Autoren und bestimmt auch um den Meta-Mittelfinger Richtung Mainstream. Den Begriff Poet kann man ganz verschieden interpretieren. Und er ist in den vergangenen Jahren sehr inflationär benutzt worden. Und ich höre in dem Wort sogar etwas Kitsch heraus. Und ich mag Kitsch, wenn er gut gemacht ist. Den Begriff Pseudo empfinde ich in diesem Zusammenhang als positiv.
Die Produktionsphase dauerte nur sechs Wochen. Nach Ihrem Solodebüt war das der kürzeste Zeitraum für die Aufnahmen. Warum ging es so schnell?
Frevert: Durch die Pandemie hatte ich viel Zeit zum Schreiben. Dann habe ich den Produzenten Tim Tautorat kennengelernt und ich wusste, dass er nicht nur zwei Platten im Jahr macht, sondern sieben bis acht. Er arbeitet zügig, ist entscheidungsfreudig und mutig. Ich habe so intensiv an meinen Demos gearbeitet wie bei meinem Solodebüt 1997. Ich wusste, dass ich all meine Teilchen zusammen haben muss, wenn wir loslegen.
Mit »Putzlicht« vollzogen Sie 2019 einen Wandel.
Frevert: Ja, da gab es mehr E-Gitarren und die Produktion war größer. Jetzt folgte der nächste Schritt. Auf der neuen Platte gibt es noch mehr E-Gitarren, und es ist etwas tanzbarer. Das hat sich so ergeben mit den Songs, aber es gab von vornherein die Motivation, wieder auf Tour zu gehen. Ich will erreichen, dass man Bock hat, das neue Album live zu erleben.
Mit »Putzlicht« sollen Sie das Korsett des Liedermachers abgestreift haben. Wollen Sie keiner mehr sein?
Frevert: Doch. Ich sehe mich nach wie vor als Liedermacher. Das sind die, die ihre Songs alleine spielen und damit einen ganzen Abend bestreiten können. Es muss nicht nur die gezupfte Gitarre sein. Ich kann mir auch vorstellen, dass es auf den nächsten Platten wieder akustischer wird.
Haben Sie sich selbst etwas unter Druck gesetzt, das Album »Putzlicht« toppen zu müssen?
Frevert: Toppen würde schwierig werden, dachte ich. »Putzlicht« war ein schöner Erfolg, der mir gutgetan und etwas bewegt hat. Ich setze mich nicht unter Druck, höchstens unter Zeitdruck. Die neue Platte sollte nicht schlechter werden. Das hat funktioniert.
Wo sehen Sie sich mit dem aktuellen Werk?
Frevert: Leider leben wir in Zeiten mit Klickzahlen und Vergleichen. Das finde ich schwierig. Ich habe meine Zweifel, dass das der Popmusik gut tut. Ich bin ein Album-Künstler, mag Romane und Filme. Ich finde es schön, wenn sich etwas entwickelt. Was ich sagen will: Das mit dem Erfolg ist relativ. Ich bin schon länger unterwegs und bei mir definiert sich das anders. Bei mir geht es nicht um eine Chart-Positionierung. »Pseudopoesie« ist mein siebtes Soloalbum. Das ist mein persönlicher Erfolg. Ich bin ganz okay im Rennen.
»Die Abendsonne auf deiner Haut entgleitet dir sanft« Wie entstehen so schöne Textzeilen?
Frevert: Die kommen mir zugeflogen. Wenn sie bei mir landen, schreibe ich sie schnell auf. Ich bin tatsächlich immer im Einsatz. Ich sammel’ immer, auch die Sachen, von denen ich im ersten Moment gar nicht so überzeugt bin. Und ich singe diese Worte so, dass sie nicht konstruiert klingen. Songtexte zu schreiben, ist der schönste Beruf der Welt. Man muss nicht mit Ende 40 noch genauso singen, wie man es mit Anfang 20 getan hat. Dazu kommt, ich habe schon einige Geschichten erzählt und möchte mich nicht wiederholen. Diese Herausforderung erfüllt mich.
Hören Sie noch Songs von Ihrem Solodebüt oder haben Sie sich davon völlig losgesagt?
Frevert: Ich mich von meinem Solodebüt lossagen? Niemals! Allerdings habe ich es lange nicht mehr angehört. Dabei denke ich gern an die Zeit zurück – nach den Jahren mit der Nationalgalerie eine neue Arbeitsweise kennenzulernen, war wie eine Befreiung. In den 90er-Jahren wollte ich wie meine Vorbilder klingen, habe diese aber nie erreicht. Davon habe ich mich irgendwann freigemacht.
Eine nette Geschichte haben Sie im Song »Kristallpalast« beschrieben. Wo ist der?
Frevert: Das ist ein Jazzclub, den ich eröffne, wenn ich mit der Popmusik reich geworden bin. Aber bis dahin habe ich noch etwas Zeit und werde noch einige Platten veröffentlichen. (GEA)
Niels Frevert: 25. Januar franz.K, Reutlingen Album: »Pseudopoesie« (Groenland Records)