REUTLINGEN. Alle Jahre wieder kommt die Akkordeonale nach Reutlingen. Traditionell ist es die zweite Station einer Tournee, die die Show durch 33 deutsche Städte führt. Und alle Jahre wieder ist die Akkordeonale ausverkauft. Ein Instrument, als volkstümlich verrufen, lockt Massen an. Das franz.K ist bestuhlt und besetzt bis auf den letzten Platz am Donnerstagabend. Das Konzert beginnt mit kleiner Verspätung; dies, behauptet Servais Haanen, Akkordeonist und Moderator, liege daran, dass sich gut 30 Personen zusätzlich in den Saal mogelten. Haanens Humor ist trocken und scheint mit dem Akkordeon zu korrespondieren, das sich, wieder als rustikale Zauberkiste erweist.
Neben Servais Haanen, von dem auch eine Anzahl der Kompositionen stammt, sind es in diesem Jahr Irene Tillung aus Norwegen, Djordje Davidovic aus Serbien, zuhause in Wien, Marcello Squillante aus Neapel und der Österreicher Paul Schuberth. Sie spielen das Akkordeon auf jeweils besondere Art, mit eigenen und fremden Stücken. Hinzu kommen Kaya Meller und Esther Swift. Meller stammt aus Polen, studierte in Boston und Graz, ist Jazzmusikerin auf Trompete und Flügelhorn, nahm bereits 2019 an der Akkordeonale teil; Swift ist Schottin, spielt die Harfe zwischen Klassik und freier Improvisation und war Teil der Akkordeonale 2017. Swift wird späterhin ein Lied singen, das vom Dämmern des Tages handelt, mit warmer Stimme voller Gefühl, sich dabei auf der Harfe begleitend. Ihre Finger tanzen auf den Saiten, während sie die blaue Ferne anruft.
Musik jenseits aller Grenzen
»Esperanza« heißt das Stück, mit dem die Musiker gemeinsam den Abend eröffnen – mit seinem melodischen Schwung gleicht es einem Tanz. Paul Schuberth ist erster Solist, wird von Servais Haanen vorgestellt als der Vertreter einer Szene in Wien, die keine Grenzen und Regeln kennt. Sein Stück heißt »Birds«, denn Schuberth ist auch ein begeisterter Student der Himmelsbewohner. Traditionelle Momente scheinen ihre Rolle zu spielen neben dem schnellen Auf und Ab der Motive, das sich auflöst in ein elegisches Gleiten, um bald wieder einzugehen in die stürmische Melodie. Die Musik gewinnt noch mehr an Tempo, der Musiker singt mit.
Irene Tillung scheint eher dem schwermütigen Volkslied verpflichtet, lässt den Klang ihres Instrumentes im Raum schweben, spielt Melodiebögen aus, lauscht ihnen nach, baut langsam, aus dem Dunkel kommend, einen Rhythmus auf, der von der Musik Besitz ergreift. Djordje Davidovic hat sein Stück »Kreis« genannt – er beginnt mit schweren Akkorden und fällt dann in einen temperamentvoll schnellen Ton mit scharfen Akzenten, immer neuen Überraschungen. Davidovic, ganz versunken in seine Musik, ist der Akkordeonist mit den schnellsten Fingern; er gibt in der zweiten Hälfte den berühmten Csárdás des Italieners Vittorio Monti, original für Geige. Ein Stück, von dem Haanen gesteht, dass er selbst sich niemals zugetraut habe, es zu spielen. Ein Stück von überschwänglicher Leidenschaft, rasenden, wechselnden Tempi, für das er im franz.K rauschenden Applaus erhält.
Mit Harfe und Flügelhorn
Marcello Squillante erlernte sein Spiel nicht als Student, sondern als Straßenmusiker. Er trägt eine »Serenata« vor – ein Stück, behauptet Haanen, das nur in klaren Nächten aufgeführt werde, damit Musiker und Instrument nicht nass würden. Was im franz.K aber bedeutungslos ist, da dort der Mond nicht scheint und keine Dame sich lauschend aus dem Fenster lehnt. Squillante singt, spielt, Haanen am Akkordeon und Kaya Meller am Flügelhorn begleiten.
Wie gut sich Harfe und Flügelhorn zum Akkordeon fügen, darf man bei dieser Akkordeonale zwar nicht zum ersten Mal erleben, es lässt aber doch wieder staunen. In der zweiten Hälfte des Abends wechseln sich Auftritte in kleinen Gruppen und solche von Solisten ab mit Liedern jenseits aller Grenzen. Das Publikum ist begeistert, mitunter berührt. (GEA)